Freitag, 18. Dezember 2015

Der von hinten hübsche Kollege

In Zeiten von Barbara Salesch und Konsorten wundert ein gewisses Gefälle an auffälligem Benehmen seitens des Publikums in strafrechtlichen Hauptverhandlungen nicht. In den guten alten Zeiten, in denen die Stange des Niveaulimbo noch relativ hoch lag, hätte es Situationen wie etwa Diejenige, dass sich Zuschauer aus dem Publikum melden, weil sie meinen, etwas ganz Wesentliches zur Sache beitragen zu können, nicht gegeben. Mobiltelefone (vulgo: Handies, wobei dieses Wort gerne "Handy´s" - also schön mit Deppenapostroph, geschrieben wird) gab es nicht bzw. außer Telefonieren konnten man damit nichts anfangen.

Nachdem heute fast jeder über mindestens ein Mobiltelefon verfügt, findet sich an den meisten Sitzungssälen der Hinweis, dass diese dort nicht erlaubt bzw. auszuschalten sind. Dadurch soll nicht nur verhindert werden, dass mehr oder minder kreative Klingeltöne die Verhandlung stören, sondern auch, dass während der Verhandlung Bild- und/oder Tonaufnahmen angefertigt werden, was verboten ist, vgl. Nr. 129 Abs. 2 RiStBV.

Vor Kurzem erlebte ich wie ein Zuschauer sein Mobiltelefon auffällig hoch in Richtung der Anklagebank hielt und dachte mir "Der wird doch nicht etwa Filmen?!" Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als eine Mitverteidigerin das Gericht darauf aufmerksam machte. Der Vorsitzende unterbrach die Sitzung und begab sich in den Zuschauerraum mit dem Bemerken, der Behauptung gründlich nachzugehen. Es stellte sich heraus, dass der Zuschauer Teile der Einlassungen zweier die Angeklagter, die aus demselben Ort wie er stammten, mitgefilmt hatte. Er sei, so der Kameramann, im Auftrag der Gemeinde Kleinkleckersdorf hier und zudem habe einer der Angeklagten seinem Sohn Unrecht getan. Deshalb filme er. Die Dateien wurden vor Ort durch einen offenbar sachkundigen Gerichtswachtmeister gelöscht, der Zuschauer mit einem Ordnungsgeld bedacht, so dass die betroffenen Angeklagten zumindest nicht gegenwärtigen müssen, demnächst als Hauptdarsteller einer adventlichen Filmvorführung im Gemeindehaus von Kleinkleckersdorf zu fungieren, es sei denn, der Zuschauer, der auch an anderen Hauptverhandlungstagen im Zuschauerraum saß, verfügt noch über weiteres Bild- und Tonmaterial.

Die Verteidiger der Betroffenen nahmen den Zwischenfall übrigens sehr gelassen hin und wollten in die Problematik, ob weiteres Material vorhanden ist, nicht weiter einsteigen. Einer der Kollegen, der mit dem Rücken zum Kameramann saß, stellte indes selbstbewusst fest, auch von hinten gut auszusehen. Wenn sonst nichts stört.

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Ein Plädoyer für das materielle Recht am Beispiel des AMG

Es gibt Gesetze, die ändern sich alle Jubeljahre einmal und es gibt Gesetze, die sich in sehr kurzen Zeitabständen ändern. Zu Letzteren gehört das Arzneimittelgesetz, kurz AMG mitsamt der in diesem Zusammenhang unverzichtbaren Dopingmittelmengenverordnung (DmMV).

Die letzte Änderung des AMG datiert vom September diesen Jahres. Sie betrifft eine für den Verteidiger wenig praxisrelevante Norm, § 59d AMG, über die Verabreichung pharmakologisch wirksamer Stoffe an Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen.

Nachdem der Gesetzgeber seinen Fokus immer mehr auf Freizeitsportler ausgeweitet hat, überrascht es nicht, dass einige Vorschriften hierum erweitert wurden. Exemplarisch seien hier die zentralen Vorschriften der §§ 6a und 95 AMG genannt.

Nun gibt es bei den meisten Staatsanwaltschaften keine AMG-Spezialabteilungen. Vielfach werden Verstöße gegen das AMG von den Betäubungsmittelabteilungen bearbeitet. So verwundert es nicht, dass sich der ein oder andere Staatsanwalt, der üblicherweise Btm-Kriminalität verfolgt, mit der AMG Materie ein wenig schwertut. Hierin liegt für die Verteidigung eine große Chance, die meiner Erfahrung nach viel zu selten genutzt wird.

Ich hatte in diesem Jahr im Rahmen eines AMG-Verfahren Einblick in diverse Großverfahren, die allesamt im Süddeutschen verortet waren. Die genannten Großverfahren waren jeweils in der ersten Instanz mit Geständnissen abgeschlossen, die Angeklagten zu teils hohen Haftstrafen verurteilt worden. Beim Studium der Beiakten fiel auf, dass sich die Anklagen an der jeweils aktuellen Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Anklageerhebung verhielten. Im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt der Tatbegehung eine andere, für den Angeklagten günstigere Rechtslage herrschte, wäre zu erwarten gewesen, dass die Verteidiger im Zwischenverfahren der Zulassung der Anklage widersprochen hätten. Dies geschah nicht. War wohl niemandem aufgefallen.

Der Wurm war nun drin und er fraß sich durch die weitere Akte durch. Das Gericht eröffnete, die Hauptverhandlung begann, es wurde verhandelt und schließlich auf Grundlage der Anklage verurteilt.
Nicht nur den Verteidigern war der Fehler entgangen, sondern auch dem Gericht.

Es ist für einen Außenstehenden kaum zu beurteilen, ob sich der in der Anklageschrift befindliche weiterfressende Mangel im Ergebnis auf die Höhe der Verurteilungen ausgewirkt hat, da "gedealt" worden war. Hierauf darf ein Verteidiger allerdings keine Rücksicht nehmen. Es stärkt die Position der Verteidigung in jeder Lage des Verfahrens, wenn er zugunsten seines Mandanten Argumente ins Feld führt, die die Anklage zu schwächen geeignet sind. Ein Fehler wäre es meiner Meinung nach also keinesfalls gewesen, einen entsprechenden Antrag auf Nichtzulassung der Anklage zu stellen, eher war es ein Kunstfehler, dies nicht zu tun.

Woran mag es liegen, dass der genannte Kunstfehler keinem der Verteidiger aufgefallen ist? Ich meine, dass das materielle Recht ab Eintritt in den Anwaltsberuf sträflich vernachlässigt wird zugunsten des Prozessrechts. Die meisten Verteidiger haben sich zuletzt im Studium ernsthaft mit materiellem Recht beschäftigt, sie konnten zur Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung nebst hierzu ergangener Grundsatzentscheidungen nachts um drei nach einem feucht-fröhlichen Abend referieren, sie wussten um die vielfachen Theorien betreffend die Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit und vielleicht kannten sie sich auch in der Materie des AMG aus. So war das auch bei mir. Kaum auf die Justiz losgelassen, war das Prozessrecht mit seinen Ablehnungsgesuchen, Besetzungsrügen und Beweisanträgen viel spannender als der dröge materielle Stoff, den man damals aber aufgrund des kurzen Zeitablaufs noch wesentlich präsenter hatte.

Mir persönlich kam der Umstand, dass ich seit jeher Praktikanten und Referendare ausbilde, sehr zugute. Die lasen die Akte und damit auch die Anklage mit ganz anderen Augen, nämlich materiell-rechtlichen Augen und haben mehr als einmal wertvolle Impulse gegeben, die materielle Rechtslage genauer zu beleuchten.









    

Montag, 14. Dezember 2015

Dank des Pflichtverteidigers

Der Kollege Schmitz hat in einem vielbeachteten Beitrag zutreffende Ausführungen zur hierzulande gängigen Praxis der Pflichtverteidigung gemacht.

Besonders erwähnenswert scheint mir sein Reformvorschlag, wonach die Vergabe der Pflichtverteidigungen aus den Händen der Richterschaft genommen werden soll.

Kein schlechter Ansatz, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es nur allzu menschlich ist, wenn Richter ihnen genehme Verteidiger bestellen. Nur - was dem Richter genehm ist, muss für den Angeklagten noch lange nicht genehm sein. Ein Angeklagter wird in der Regel daran interessiert sein, engagiert verteidigt zu werden und das bedeutet eben auch, dass ein Verteidiger (auch und gerade unangenehme) Anträge stellt. Mit engagierter Verteidigung warten indes die wenigstens langgedienten Pflichtverteidiger auf.

Ich kenne einen inzwischen hochbetagten Kollegen, nennen wir ihn der Einfachheit halber einmal "Müller", der seit Jahrzehnten immer gerne als Pflichtverteidiger beigeordnet wird und den man in Kollegenkreisen unter dem Namen "Geständnismüller" kennt. Seine Plädoyers, die er in pastoralem Tonfall hält, beginnen meist mit den Worten "Mein Mandant hat schwere Schuld auf sich geladen", wobei es vollkommen egal ist, ob es um einen Eierdiebstahl oder um einen Raub geht. Verteidigungsaktivität Fehlanzeige, Urteilsbegleitung steht im Vordergrund.

Dann gibt es noch pflichtverteidigende Kollegen, die in Großverfahren auftreten und bei denen man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, sie tauchten dort nur auf um die Pflichtverteidigergebühren zu kassieren, denn anders lässt es sich kaum erklären, wenn ein Kollege eine halbe Stunde nach Hauptverhandlungsbeginn seine Siebensachen zusammenpackt und aus dem Saal verschwindet.
Selbst wenn ein solches Verfahren sich über mehrere Jahre hinzieht, kommt es vor, dass man erst an dessen Ende weiß, wie die Stimme eines solchen Kollegen klingt, weil er mit Ausnahme des Plädoyers nichts aber auch gar nichts gesagt hat.

Und dann gibt es noch die Pflichtverteidiger, die sich beim Richter bedanken. Vergangene Woche las ich in einer Ermittlungsakte: "Ich bedanke mich für die Beiordnung und reiche in der Anlage die mir freundlicherweise überlassene Akte zurück."

Es gibt aber auch Fälle, in denen der Angeklagte Glück hat, etwa dann, wenn er an einen Vorsitzenden gerät, dem daran gelegen ist, dass Verteidigung stattfindet, die den Namen verdient. Auch das gibt es, genauso wie es engagierte Kollegen gibt, die beigeordnet werden. Für den Betroffenen bleibt es aber um es mit dem Kollegen Schmitz zu sagen, ein Glücksspiel, weshalb er dringend darauf achten sollte, dem Gericht rechtzeitig einen Verteidiger seiner Wahl mitzuteilen, damit dieser ihm beigeordnet wird.




Samstag, 12. Dezember 2015

Wenn Einer einen Job ausschreibt...

... dann kann er viel erleben.

Es ist nun gut drei Wochen her, dass ich bei der Arbeitsagentur eine Anzeige geschaltet habe, weil ich eine bzw. zwei weitere Mitarbeiterinnen für meine Kanzlei suchte. Ich darf rückblickend (die Stellen sind besetzt) sagen, dass mir Einiges geboten wurde.

Es begann mit einem Herren, der seine "Textsicherheit" besonders hervorhob. Leider las sich der Text seiner Bewerbung angesichts der darin enthaltenen vorwiegend grammatikalischen Fehler nicht ganz so sicher, wie man hätte erwarten dürfen.

Interessant war auch die Bewerbung einer Dame, die ihre bei der Polizei bzw. Kripo tätigen Familienmitglieder besonders hervorhob. Ob sie wohl vor dem Absenden ihrer Bewerbung einmal nachgeschaut hat, bei wem sie sich bewirbt und falls ja, weshalb erschien es ihr sinnvoll, Dergleichen zu erwähnen?

Eine weitere Dame belehrte mich gleich eingangs ihrer Bewerbung darüber, dass es für mich viel sinnvoller sei, eine freie Mitarbeiterin zu beschäftigen, nämlich sie. Mir wurden dann die zahlreichen Vorteile der freien Mitarbeiterschaft juristisch-halbgar erläutert, die Nachteile ließ man außen vor. Ganz sicher dachte sie, dass ich als Jurist die Nachteile selbst kenne. Kenne ich tatsächlich und gerade deshalb suchte ich keine freie Mitarbeiterin.

Die Krönung war eine Dame, die mir im Rahmen eines Telefonats berichtete, meine Sekretärin (sie vermochte die Rechtsfrage danach, welche Summe die Anruferin von dem Gehalt auf ihre Rente angerechnet bekommt, sollte sie sich für eine Zusammenarbeit mit mir (hört, hört!) entscheiden, nicht zu beantworten) sei sehr unhöflich gewesen.     
Ich habe ihr geraten, sich nach einer anderen Tätigkeit umzutun, da ich keine Grundlage für eine gedeihliche Zusammenarbeit sehe. Das Wort "konsterniert" beschreibt ihre Reaktion, die ich rasch dazu ausnutzte, das Telefonat zu beenden, übrigens am Besten.

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Aktionsbüro Mittelrhein - da waren es nur noch 19

Vorgestern wurde das Verfahren gegen den von meiner Kollegin Katja Kosian und mir verteidigten Angeklagten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.

In der Begründung heißt es, dass die Vorwürfe aus der Anklage (hier u.a. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) allenfalls ein geringes Verschulden bergen. Nachdem unser Mandant sich vier Monate in Untersuchungshaft befunden habe und durch den langdauernden Prozess psychisch wie physisch stark angeschlagen sei, bestünde an seiner Verfolgung kein öffentliches Interesse mehr.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen wurden der Staatskasse auferlegt, § 467 Abs. 1 StPO.

Unser Mandant hatte sich im Gegensatz zu denjenigen Angeklagten, die bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt aus dem Verfahren nach Einlassungen und darauf basierenden Verurteilungen ausgeschieden waren, durch Schweigen verteidigt.

Das Verfahren gegen die verbleibenden 19 Angeklagten wird fortgesetzt.

Bloß keinen Ärger machen

Die Rechtsordnung sieht vor, dass Täter, die eine Straftat gemeinsam begangen haben, auch gemeinsam verhandelt werden. Von diesem Grundsatz darf ein Gericht nur unter engen Voraussetzungen abweichen, mit anderen Worten: es muss schon gute Gründe geben, weshalb man Mittäter getrennt verhandelt.

Ein nicht so guter Grund ist es beispielsweise, wenn ein Gericht einen Mittäter deshalb abtrennt, weil sein Verteidiger mitteilt, an zwei vom Gericht vorgeschlagenen Terminen in näherer Zukunft verhindert zu sein und danach keinerlei Anstrengungen mehr unternimmt, Ausweichtermine zu finden, an dem alle Angeklagten und ihre Verteidiger zur Verfügung stehen.

Aber selbst bei gutem Grund ist den Mitverteidigern vor der Abtrennung rechtliches Gehör zu gewähren, § 33 StPO, d.h., sie dürfen Einwendungen gegen die beabsichtige Abtrennung anbringen.

Vor nicht allzu langer Zeit verabsäumte es eine große Strafkammer in einer Sache mit acht Angeklagten, die Bandendelikte zum Gegenstand hatte, rechtliches Gehör zu gewähren und übersandte schlicht den Abtrennungsbeschluss.
Die rechtlich einzig richtige Reaktion hierauf ist ein Antrag nach § 33a StPO auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund Nichtgewährung rechtlichen Gehörs. Sinnvollerweise nimmt man in dem Antrag nach § 33a StPO auch gleich Stellung dazu, welche Bedenken man gegen die Abtrennung vorgebracht hätte, wäre man denn angehört worden.

Neben mir stellten von den weitern sieben Mitverteidigern exakt zwei Anträge nach § 33a StPO, der Rest tat nichts. Ich glaube kaum, dass dieser Umstand der Unkenntnis der Kollegen geschuldet war (fast alle führen die Berufsbezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht"). Es ging - zumindest dem einen Kollegen, den ich auf die Sache angesprochen habe - darum, "dem Gericht keinen Ärger zu machen". Ich habe dem Grunde nach nichts gegen Kollegen, die ein höheres Harmoniebedürfnis haben als ich, aber wenn ein Gericht vor Erlass eines Abtrennungsbeschlusses die Verfahrensbeteiligten nicht anhört, obwohl das Gesetz es so vorsieht, dann wäre es doch wenn überhaupt an der Verteidigung, sich hierüber zu ärgern und nicht am Gericht, sich darüber zu ärgern, dass ein Verteidiger zugunsten seines Mandanten tätig wird und einen entsprechenden Antrag stellt.

Das Gericht hat auf die gestellten Anträge nach § 33a StPO übrigens richtig reagiert. Der Abtrennungsbeschluss wurde rückgängig gemacht.  





Dienstag, 8. Dezember 2015

Robin Hood und die vier Männer am See

Gestern ging ein Prozess vor dem Landgericht Bad Kreuznach zu Ende, an dessen Beginn die Zulassung einer Anklage gegen fünf junge Männer wegen bandenmäßigen erpresserischen Menschenraubes, räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung stand.

Zwei der Angeklagten hatten auf Anraten ihrer Herren Verteidiger bereits im Ermittlungsverfahren "ausgepackt", wovon sie sich ganz erhebliche Vorteile erhofft hatten, die sich bei einer Betrachtung ex post in Grenzen hielten.  Das Verhalten der Kollegen war trotz ihrer Verteidigungsstrategie ungewöhnlich. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Herren bei jedem meiner Anträge sowie der Anträge meiner Kolleginnen Christine Henn und Katja Kosian vernehmbar stöhnten oder die Augen gen Himmel richteten, offenbar verkennend, dass die Beweisanträge auch vorteilhaft für ihre Mandanten waren. Da hätte man sich von den Kollegen diejenige Professionalität gewünscht, mit der die Strafkammer mit den Anträgen umging.

Doch nun zum Fall, der recht kurios war:
Fünf junge Männer spielten "Robin Hood" und schrieben sich die Bekämpfung der Pädophilie auf die Fahne. Sie gaben Anzeigen in Erotikportalen auf im Stil von "Junge Sie sucht reifen Ihn für erotisches Abenteuer gegen Taschengeld". In sich anschließenden Chats gaben sie sich als 13-jähriges Mädchen aus. Wer nun glaubt, dies hätte die Herrschaften, die auf die Anzeige reagierten, abgeschreckt, irrt. Die Jungs erhielten nach ihren übereinstimmenden Aussagen zahllose Zuschriften, teils mit Bildern der Geschlechtsteile der Herren offenbar zur Dokumentation, dass die "Ausstattung" ein 13-jähriges Mädchen nicht überfordern dürfte, teils mit nicht zitierfähigen Textnachrichten, die keinen Zweifel daran ließen, dass juveniles Alter sie keinesfalls störe.

Die Männer, alle aus bürgerlichen Verhältnissen stammend, wurden zu einem See bestellt, an dem sie nicht von der 13-jährigen erwartet wurden, sondern von den Angeklagten, die sie mit ihren Neigungen konfrontierten. Teils setzte es Ohrfeigen, teils nahm man ihnen Handy und Bargeld weg und in einem Fall (der verhinderte Freier zählt um die 60 Lenze) fuhr man mit diesem zur Bank, damit er dort Geld abheben konnte. Die Beute von 4 Taten belief sich auf unter 1000 Euro, so dass man den Einlassungen der Angeklagten, es sei ihnen nicht ums Geld gegangen, durchaus Glauben schenken durfte.

Nun rechtfertigt die Tatsache, dass man gegen Pädophile vorgehen möchte, freilich nicht die begangenen Straftaten, denen ein eigener Unrechtsgehalt innewohnt. Gleichwohl muss man bei der Sanktionierung der Täter auch die Schutzbedürftigkeit der Opfer im Blick haben und diese Opfer waren, so auch die Strafkammer in der Urteilsbegründung, so wenig schützenswert wie selten ein Opfer.

Die Männer wurden übrigens allesamt eidlich vernommen. Was sie dabei zum Besten gaben, möchte ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten.

Nummer 1 schilderte, er habe den Chat mit dem Mädchen für einen Fake gehalten und in Wirklichkeit dahinter einen oder zwei starke Männer vermutet, die ihn hätten vermöbeln wollen. Aus diesem Grund sei er zu dem vereinbarten Treffpunkt am See gefahren, weil er sich hiervon habe überzeugen wollen. Die pure Neugier habe ihn getrieben.

Nummer 2, der verheiratete Sechziger, der angegeben hatte, seine Frau habe ihm nach seiner Beichte die Hölle heiß gemacht, hielt das Ganze für einen Jux und den Chat mit dem Mädchen empfand er als spaßig. Nie und nimmer hätte er sexuelle Handlungen an oder mit einer 13-jährigen vorgenommen, von der er bei seiner polizeilichen Vernehmung behauptet hatte, sie habe sich als 17-jährige ausgegeben. Ach nein, hatte er gar nicht. Er war sich nämlich nicht einmal zu schade, in der Hauptverhandlung zu behaupten, die Polizeibeamten hätten seine Aussage falsch aufgenommen. Warum er deren angebliches Schreibversehen nicht beim mehrfachen Vor- und Durchlesen korrigiert hatte, vermochte er indes nicht zu erklären.

Nummer 3, ein recht kreativer Fünfziger, behauptete, ein Rollenspiel hinter der Anzeige vermutet zu haben, weshalb er zum See gefahren sei. Zu schade, dass er nicht wusste, was ein Rollenspiel ist, aber er stehe da ohnehin nicht drauf. Mit anderen Worten: er ist zum See gefahren zwecks Teilnahme an einem Rollenspiel, von dem er nichts hält und von dem er nicht einmal erklären kann, was es ist.

Nummer 4 wurde bislang nicht identifiziert. Von ihm existiert ein Video, in dem er darauf hinweist, dass er ein Cochleaimplantat (eine Hörhilfe) trägt. Großartig nach ihm gesucht haben die Ermittlungsbehörden allerdings nicht, so dass uns eine vierte Lügengeschichte erspart blieb. Der Vorsitzende erklärte in der Urteilsbegründung, die Kammer sei selten so belogen worden.

Was die Ermittlungsbehörden aus den eidlichen Aussagen der Herrschaften an Konsequenzen ziehen wird, bleibt abzuwarten. Zu hoffen bleibt, dass sie einen Meineid besser zu subsumieren wissen als einen § 182 Abs. 4 StGB.  Gegen die Männer waren Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die aber ohne jegliche Ermittlungen sang- und klanglos eingestellt wurden mir der Begründung, am Tatort habe sich kein taugliches Tatobjekt befunden. Man nennt dies auf "Juradeutsch" einen untauglichen Versuch und man weiß, dass auch der untaugliche Versuch strafbar ist. Normalerweise jedenfalls weiß man das.

Und ja, man hätte sich gewünscht, dass den Herren ein wenig auf den Zahn gefühlt worden wäre. Was hätte man sich verdient machen können, indem man ihre Computer nach Kinderpornos durchsucht hätte. Wie naheliegend wäre es gewesen, ihre Handies zu beschlagnahmen um die Chats wieder sichtbar zu machen. Wie angebracht wäre es gewesen, sie zur Beschuldigtenvernehmung vorzuladen anstatt die Verfahren kurzerhand einzustellen.

Wirft der medienhörige Stammtischbruder der Justiz nur allzu gerne vor, auf bestimmten - gerne politischen - Augen blind zu sein, sollte er sein Augenmerk einmal auf Fälle wie diesen richten und danach seine Vorurteile korrigieren.

Die Heranwachsenden unter den Angeklagten wurden zu Jugendstrafen mit Bewährung verurteilt, mein Mandant als einziger Erwachsener zu 3 Jahren und 3 Monaten, wobei die Strafkammer den Haftbefehl außer Vollzug setzte, so dass er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen konnte. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.



Freitag, 9. Oktober 2015

Die JVA und der Datenschutz

Ein Mandant, den ich vor einiger Zeit verteidigt hatte, rückte in eine nordrhein-westfälische Justizvollzugsanstalt ein. Kaum dass er sich dort eingelebt hatte, wurde er von mit einer zivilrechtlichen Klage überzogen und mandatierte mich, seine Interessen wahrzunehmen.

Unlängst kam ein an den Mandanten gerichtetes Schreiben als "unzustellbar" zurück. Ich ging also davon aus, dass er entlassen worden war, es aber nicht für nötig befunden hatte, mir seine Entlassungsadresse mitzuteilen. Die Fristen in der Zivilsache liefen freilich unabhängig von der Nachlässigkeit des Mandanten weiter.

Meine Mitarbeiterin erhielt auf telefonische Nachfrage keine Auskunft, weshalb sie ein Schreiben an die JVA verfasste, den Sachverhalt schilderte, um Mitteilung der Entlassungsadresse bat und die Vollmacht, die der Mandant in der Zivilsache erteilt hatte, mitschickte.

Das Schreiben kam einige Tage später urschriftlich zurück mit folgendem Vermerk:

"Auskünfte dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erteilt werden, da ein berechtigtes Interesse nicht nachgewiesen werden kann."

Dass es kein berechtigtes Interesse sein soll, wenn ein bevollmächtigter Anwalt wissen möchte, wohin sein Mandant entlassen wurde, war mir neu. Dem Beamten, mit dem meine Mitarbeiterin telefonierte, erfreulicherweise auch.

Soeben habe ich einen geharnischten Brief unterschrieben, der den Mandanten an seinem neuen Wohnsitz erreichen wird.

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Das Datum auf der Vollmacht - Augen auf bei der Kostenfestsetzung

Macht man nach erfolgtem Freispruch für einen Mandanten die ihm entstandenen Kosten gegenüber der Staatskasse geltend, tut man gut daran, eine Vollmacht des Mandanten vorzulegen, die einen zum Geldempfang berechtigt, damit die Justizkasse die Auszahlung an den Anwalt vornehmen kann.

Manchmal ist es so, dass man dem Mandanten eine Vollmacht mit der Bitte um Unterzeichnung vorlegt, die Unterschrift erfolgt dann, aber das Datum wird nicht eingesetzt.

Eine solche undatierte Vollmacht hatte ich im Zuge eines Kostenfestsetzungsverfahrens vorgelegt und staunte nicht schlecht, als mir die Bezirksrevisorin Folgendes schrieb:

"Die vorgelegte Vollmacht trägt kein Datum. Vorsorglich darf ich bereits jetzt darauf hinweisen, dass anderenfalls der Kostenfestsetzungsantrag als unzulässig zurück zu weisen ist (AG Koblenz, Beschluss vom 10.01.2011 - 2010 Js 678/01.33 Ds; AG Koblenz, Beschluss vom 07.02.2007 - 2010 Js 45496/04.29 Ds - beides über juris - aus den Gründen: Dem Kostenfestsetzungsantrag kann nicht stattgegeben werden, das der Rechtsanwalt zum Nachweis seiner Antragsberechtigung keine, mit Ausstellungsdatum versehene, aktuelle Vollmacht betreffend das Kostenfestsetzungsverfahren und den Geldempfang zur Akte gereicht hat (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, 53. Auflage, Rdnr. 5,6, vor § 137 StPO)."

Im meinem Fall war es so, dass ich die Vollmacht gefaxt hatte und sie per Fax zurück erhalten hatte, mithin also an den Faxkennungen ersichtlich war, dass die Vollmacht zurück gesandt worden war (nur eben ohne eingetragenes Datum). In einem Telefonat mit der freundlichen Bezirksrevisorin konnte die Sache geklärt werden und nachdem sie mir berichtet hatte, dass es schon häufiger Probleme mit Geldempfangsvollmachten gegeben hatte, kann ich gut verstehen, weshalb es für alle Beteiligten besser ist, wenn auf einer datierten Vollmacht bestanden wird.

Montag, 5. Oktober 2015

Ein Quäntchen Sorgfalt - zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln

Zwischen dem pensionierten Amtsrichter S. und mir bestand seit jeher ein Spannungsverhältnis. Ihm gefiel meine Art zu verteidigen nicht, mir gefiel seine bisweilen eigenwillige Auslegung der StPO nicht.

Eines der letzten Verfahren, das er zu betreuen hatte, war mit mir als Verteidigerin besetzt. Es ging darum, dass mein Mandant sage und schreibe 0,06 Gramm Haschisch sowie 0,2 Gramm Heroin in Besitz gehabt haben soll. Ein solches Verfahren hätte man normalerweise der einzig richtigen Erledigungsart, nämlich der Einstellung, zugeführt, wenn man nicht Richter S. gewesen wäre, der die Anklage wegen dieses kapitalen Delikts (zum Schöffengericht!) zugelassen hatte. Kurz zuvor war mein Mandant wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden, so dass der Besitz des Rauschgiftes angesichts dieser Strafe nun wirklich nicht weiter ins Gewicht fiel. Für derartige Fällt sieht das Gesetz die Einstellung nach § 154 StPO vor und so regte ich am ersten Hauptverhandlungstag in einem Vorgespräch an, hiernach zu verfahren. Richter S. hatte hingegen andere Pläne und so verhandelten wir zur Sache. Da er - langjähriger Übung Rechnung tragend - keine Zeugen geladen hatte, musste die Sache vertagt werden.

Beim nächsten Termin regte ich erneut die Einstellung an. Wieder erfolglos. Im Termin ließ sich mein Mandant teilgeständig zur Sache ein. Mein Mandant wurde zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Ich sah der Rechtsmittelinstanz gelassen entgegen, denn Richter S. hatte im Urteil keinerlei Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel getroffen, was zum ganz kleinen Einmaleins des Richters gehört. Ich riet also meinem Mandanten dazu, die Berufungsinstanz zu überspringen und Sprungrevision einzulegen. Das Rechtsmittel der Sprungrevision nutzt man dann, wenn das Amtsgericht einen so eklatanten Fehler gemacht hat, dass es dumm wäre, diesen von der nächsten Tatsacheninstanz, dem Landgericht, ausbügeln zu lassen.

Es dauerte nicht lange und das Oberlandesgericht K. bescheinigte Richter S., dass es nicht verkehrt gewesen wäre, ein wenig mehr Sorgfalt walten zu lassen.

Dies hört sich dann übrigens so an:

"Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die Feststellungen lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht hinreichend erkennen, da jeweils Ausführungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel fehlen (...) Der Tatrichter hat entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht möglich ist, darf der Tatrichter den Wirkstoffgehalt nicht offen lassen." 

Die Sache wurde an eine andere Abteilung des Schöffengerichts zurückverwiesen. Dort liegt sie nun und wartet darauf, dass sich der Nachfolger von Richter S. ihrer annimmt. Ich werde mal wieder im Vorfeld versuchen, das Verfahren einstellen zu lassen.



Donnerstag, 1. Oktober 2015

Leicht verdientes Geld?

Unlängst verteidigte ich beim Amtsgericht C.. Wobei - um so richtig Verteidigen zu können, hätte ich eine Beiakte benötigt. Die hatte der Verteidiger, der vor mir tätig war, bereits 6(!) Monate zuvor angefordert und ihm war vom Gericht zugesagt worden, er erhalte sie zeitnah. Geschehen ist dies nicht. Auch mir war die Beiakte nicht zugesandt worden.

Eine Beiakte ist übrigens eine Akte, die mit dem eigentlichen Fall insoweit zu tun hat, als dass sie Informationen enthält, bei denen man annehmen darf, dass sie eine Rolle für die Beurteilung der Tat spielen, die dem Mandanten vorgeworfen wird. Ein Beispiel: Harry Hasch wird angeklagt, Cannabis erworben zu haben. Aus der Akte ergibt sich ein Hinweis auf Timo Ticker, einen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer langen Haftstrafe verurteilten Mann, der bei der Polizei eine "Lebensbeichte" abgelegt haben soll. Aus Tickers Akte ergeben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Anhaltspunkte für den Fall Hasch und deshalb wird ein Verteidiger deren Beiziehung beantragen. Sachzusammenhang heißt das im Juristendeutsch.

So weit, so gut. Und damit zurück zum Amtsgericht C.. Immerhin bestand Einigkeit, dass wir die Beiakte benötigen, anderenfalls das Gericht schon nicht vor Monaten dem Beiziehungsantrag stattgegeben hätte. Zum Verhandlungstermin waren alle da: der Richter, ein Amtsanwalt, mein Mandant und ich, aber: nicht die Beiakte.

Noch bevor es richtig losging, stellte ich einen Aussetzungsantrag, also einen Antrag, das Verfahren an diesem Tag nicht zu verhandeln, weil die Beiakte nicht beigezogen worden war und meinem Mandanten damit Verteidigungsmöglichkeiten fehlten. Die Stellungnahme des Amtsanwalts zu meinem Antrag lautete, man könne sich auch anstellen. Macht nichts. Wenn es darum geht, ordnungsgemäß zu verteidigen, stelle ich mich gerne einmal an. Der Richter setzte das Verfahren aus und beendete die Hauptverhandlung auf unabsehbare Zeit, heißt auf Juristendeutsch: neuer Termin von Amts wegen.

Während ich meine Robe auszog, hörte ich - und auch mein Mandant, dem das Gesagte wohl eigentlich galt - den Amtsanwalt sagen: "Das war ja leicht verdientes Geld! Aber wenn's vom Mandanten gezahlt wird..."
Damit wollte er wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, dass, egal, wie lange eine Verhandlung dauert, eine  sog. Verhandlungsgebühr anfällt. Dauert eine Verhandlung wie hier keine 5 Minuten, darf man dafür, so gesetzliche Gebühren vereinbart wurden, innerhalb des Gebührenrahmens genauso viel abrechnen als wenn man sich 4 Stunden mit den übrigen Beteiligten gefrackt hätte.

Nun wusste der Herr Amtsanwalt nicht, dass ich ein Zeithonorar mit meinem Mandanten vereinbart hatte, durch das ich mich um ein Vielfaches schlechter stand als wenn ich gesetzlichen Gebühren vereinbart gewesen wären. Doch selbst im umgekehrten Fall wäre das Geld nicht leicht verdient gewesen, da das Besprechen mit dem Mandanten über den Antrag und das Formulieren des Antrags Arbeitszeit erfordern. Diese verbringt man freilich nicht im Gerichtssaal, sondern im Büro.

Hier führte die Beiziehung der Akte übrigens mittelbar zur späteren Verfahrenseinstellung für den Mandanten. Aus der Beiakte ergaben sich nämlich Anhaltspunkte dafür, dass der einzige Belastungszeuge ein Aussageverweigerungsrecht hatte, wobei man verabsäumt hatte, ihn entsprechend zu belehren. Mein Widerspruch gegen die Verwertung dieser Aussage war also vorprogrammiert, weshalb das Gericht sozusagen die Kostennotbremse zog und die Akte zumachte.

Die Kosten des Verfahrens gingen zu Lasten der Staatskasse.



Dienstag, 29. September 2015

Aktionsbüro Mittelrhein - 10 kleine Negerlein


Die heutzutage politisch völlig inkorrekten 10 kleinen Negerlein, die in meiner Kindheit noch fester Bestandteil des Liederbuchs waren und nach denen eine deutsche Ausgabe eines Kriminalromans von Agatha Christie tituliert wurde, sind ein Zählreim mit 10 Strophen, in dem je nach Ausgestaltung ein Negerlein nach dem anderen das Zeitliche segnet, so dass am Ende keines mehr da ist (eine eher strafrechtliche Variante) oder aber das letzte Negerlein flugs eine Großfamilie gründet, die den 10-er Bestand wieder herstellt (also was für die Familienrechtler).

An diesen Zählreim erinnert mich Dasjenige, was sich unlängst im ABM-Verfahren vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz ereignete. Ein weiterer Schöffe wurde erfolgreich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und wird daher nicht weiter an der Hauptverhandlung teilnehmen.

Doch von Anfang an:

Man startete im August 2012 mit drei Berufsrichtern, einem Ergänzungsrichter, zwei Hauptschöffen und zwei Hilfsschöffen. Hintergrund einer solch großen Besetzung ist, dass bei auf längerer Zeit angelegten Verfahren stets damit gerechnet werden muss, dass ein Richter beispielsweise wegen Erkrankung ausfällt mit der Folge, dass das Gericht bei Minimalbesetzung dann nicht mehr ordnungsgemäß besetzt wäre und der Prozess von vorne begonnen werden müsste.

Schon recht zeitig, nämlich am Nikolaustag des Jahres 2012 war das Klassenziel für einen der Hauptschöffen erreicht – er hatte den beiden Staatsanwälten eine Freude machen wollen, indem er ihnen je einen Schokoladennikolaus auf den Tisch gestellt hatte. Diese eindeutige Sympathiebekundung in Richtung der Strafverfolger brachte ihm einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ein. Er schied aus dem Verfahren aus.

Eine entsprechende Strophe bei den kleinen Negerlein würde übertragen auf das ABM-Verfahren etwa wie folgt lauten:

8 kleine Richterlein
Die gingen frisch zu Werk
Das eine schenkt dem Staatsanwalt
Nen Schokoladenzwerg
So geht es nicht, mein lieber Freund
Das ist echt übertrieben
Der Antrag, der war richtig gut
Da waren´s nur noch sieben.

2014 schied ein Berufsrichter wegen Erreichens der Altersgrenze aus.

7 kleine Richterlein
Es war echt wie verhext
Denn jünger wurden sie auch nicht
Da waren´s nur noch sechs.

Vergangene Woche stellte ein Angeklagter einen Befangenheitsantrag gegen einen Schöffen, nachdem er beobachtet hatte, dass dieser während der Hauptverhandlung ein Mobiltelefon benutzte.
Der Angeklagte befürchtete laut der Strafkammer zu Recht, der Schöffe habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der Beweisaufnahme bereits auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt. Es komme nicht darauf an, ob die Aufmerksamkeit des Schöffen tatsächlich eingeschränkt gewesen sei. Aus der maßgeblichen Sicht des Angeklagten habe der Schöffe den Eindruck der Gleichgültigkeit gegenüber dem Inhalt der Beweisaufnahme und damit auch gegenüber den berechtigten Belangen des Angeklagten erweckt.

Also:

6 kleine Richterlein
Die gingen schon auf Strümpf´
Das eine zückt das Telefon
Da waren´s nur noch fünf.

Ein weiteres Kammermitglied darf nun nicht mehr ausscheiden, denn damit wäre die Kammer nicht mehr ordnungsgemäß besetzt.


5 kleine Richterlein…  

Dienstag, 19. Mai 2015

Kein Pantoffelheld

Meine Kollegin, mit der zusammen ich in Bürogemeinschaft tätig bin, ist seit drei Jahren Anwältin und weil sie keine 28 Semester studiert hat, noch recht jung. Ältere Kollegen nehmen diesen Umstand manchmal zum Anlass, über vermeintliche Unerfahrenheit Witze zu machen oder anderswie kundzutun, dass sie schon länger im Geschäft sind. Solches Gebaren ärgert den jungen Anwalt exakt so lange bis er den erfahrenen Kollegen bei einem Anfängerfehler ertappt.

Auf ein solches Exemplar stieß meine Kollegin unlängst bei einem beschaulichen Amtsgericht in Baden Württemberg. Ich selbst kannte den Kollegen noch aus dem vergangenen Sommer, wo er zur Verhandlung im beschaulichen Amtsgericht in Pantoffeln (!) erschienen war.

Zwischen den Beiden entspann sich im Rahmen eines Gerichtstermins folgender Dialog:

Pantoffelträger: (gönnerhaft) "Sie haben wohl noch nicht so lange das Examen in der Tasche?!"
Kollegin: (freundlich) "Stimmt."
Pantoffelträger: "Wo haben Sie denn Examen gemacht?"
Kollegin: "In Rheinland-Pfalz."
Pantoffelträger: (noch gönnerhafter) "Jaja, da ist es einfacher als hier in Baden-Württemberg. Ich hab ja hier Examen gemacht."
Kollegin: (angesäuert) "Soso."

Kurze Zeit später wies der Amtsrichter darauf hin, dass - bezöge man noch weitere nicht rechtshängige Forderungen mit ein - deutlich über 5.000 € zusammen kämen, die die Gegenseite meiner Partei noch schulde.
Daraufhin ließ der Pantoffelträger verlautbaren: "Dann wären wir ja beim Landgericht."

(Für die Nichtjuristen: bis 5000,00 € ist das Amtsgericht in Zivilsachen zuständig, für alles darüber das Landgericht. So jedenfalls die Regel. Ausnahme: Mietsachen; da ist es egal, wie hoch der Streitwert ist.)

Kollegin (breit grinsend): "Nein." und noch bevor sie dies weiter ausführen kann, herrscht der Amtsrichter den hausbeschuhten Kollegen an: "Mietsache! Le roi c´est moi! Also open end!"

Fazit: kein Held obwohl Pantoffeln.




Freitag, 15. Mai 2015

Zeugentypen - heute: der Gutmensch

Von Tucholsky stammt das Zitat: "Das Gegenteil von böse ist nicht gut, sondern gut gemeint."

Besonders gut meint es immer ein Zeugentyp, nämlich der Gutmensch.

Der Gutmensch als Zeuge verneint entschieden die Frage nach Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Angeklagten. In seiner Familie geht man nicht mal bei Rot über die Ampel. Was Farben anbelangt hat die ganze Welt bitte bunt zu sein und sich um ihn zu drehen. Derart im Zentrum seines Mikrokosmos stehend versteht sich der Gutmensch darauf, allerlei karitative Veranstaltungen ins Leben zu rufen, was früher oder später in Einträge in goldende Bücher und Verleihungen diverser Verdienstorden mündet. In seiner Heimatstadt ist er bekannt wie der sprichwörtlich bunte Hund und wenn er wochenends im örtlichen Supermarkt einkauft, dauert dies Stunden, weil er alleine zwischen Fleischtheke und Gemüsestand ein Dutzend Leute trifft, bei denen er entweder für eines seiner Projekte wirbt, deren Eheproblemen er sich annimmt oder denen er klarmacht, dass vom Partymachen allein noch keiner reich, geschweige denn ein guter Mensch, geworden ist. Des Sendungsbewusststeins übervoll vergisst er große Teile seiner Einkaufsliste, was zur Folge hat, dass seine Gattin, eine etwas gehetzt wirkende Frau mit Einlegefrisur, kurz vor Ende der Ladenöffnungszeit nochmal auf die Rolle muss, damit auch genügend Mehl im Hause ist, das geschwind zu einem Kuchen für die sonntägliche Wohltätigkeitsveranstaltung verarbeitet wird.  
Sein Engagement ist für sich genommen höchst lobenswert, aber was es bedeutet, Gutes zu tun und permanent darüber zu sprechen, offenbart sich einem, wenn ein solcher Gutmensch als Zeuge aussagt.

Die Sache läuft so lange rund wie die Fragen unkritisch sind und keine Erinnerung an Details erfordern.

Kritische Fragen hingegen werden empört zu umschiffen versucht, indem er an den "gesunden Menschenverstand" appelliert und keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass alleine er mit Selbigem ausgestattet ist. Hakt man nach oder formuliert eine geschlossene Frage, antwortet der Gutmensch in epischer Redseligkeit gleichsam entlang des heißen Breis unter Verweis auf eine seiner zahlreichen Ehrenämter.

Anstrengend sind sie, diese Vernehmungen von Gutmenschen, denn sie dauern lange und am Ende ist man gehalten, das Wenige herauszufiltern, das der Gutmensch zum Tatvorwurf ausgesagt hat - neben all seinen guten Taten bleibt da nicht viel.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Säbelrasseln - Antragsfreudigkeit - Zermürbungstaktik

Die Mainzer Allgemeine war Zaungast in einem Verfahren, in dem ich gemeinsam mit meiner Kollegin Christine Henn verteidigt habe.

Ihre Eindrücke von dem Prozess fasst die Redakteurin in diesem Artikel zusammen.

Leider fehlte der Redakteurin die Zeit, die Verhandlung bis zum Ende zu verfolgen. Sie hätte ansonsten noch schreiben können, dass das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage vorläufig eingestellt wurde.

Der Schlüsselanhänger mit dem spitzen Stück Geweih gehörte übrigens nicht mir. Ich benötige keine Piekser, sondern werde mich auch weiter darauf beschränken, mit Anträgen zu pie(k)sacken. ;-)




Donnerstag, 26. März 2015

Die beleidigte Staatsanwältin

Nicht ohne ein Grinsen im Gesicht lese ich, dass ein Kollege 3.000 Euro Geldstrafe (30 Tagessätze à 100 €) zahlen muss für eine Äußerung gegenüber einer Staatsanwältin. Die hatte ein Verfahren wegen Fahrerflucht, die der Kollege angezeigt hatte, eingestellt. Hierüber echauffierte sich der Kollege mit den Worten, die Staatsanwältin sei eine Schmalspurjuristin, die nicht in der Lage sei, auf der Klaviatur des Rechts auch nur "Hänschen klein" zu spielen.

Laut LTO soll der Kollege es abgelehnt haben, sich bei der Staatsanwältin zu entschuldigen und eine Geldbuße (deren Höhe nicht mitgeteilt wurde) zu zahlen. Ich nehme an, dass eine Einstellung nach § 153a StPO angeboten worden war.

Das erinnert mich an ein Verfahren gegen einen Berufskollegen vor vielen Jahren, in dem ich verteidigt habe. Es ging um eine angebliche Ehrverletzung zu Lasten eines Polizisten und auch diesem Kollegen war angeboten worden, das Verfahren einzustellen. Ohne Geldbuße zwar, dafür aber gegen Entschuldigung. Mein Kollege hatte es seinerzeit abgelehnt, zum Einen aus rechtlichen Erwägungen, zum Anderen aus tatsächlichen Gründen, wobei die tatsächlichen Gründe darin lagen, dass er nicht die geringste Lust verspürte, eine Woche lang Kantinengespräch im Polizeipräsidium zu

Mittwoch, 4. März 2015

Wir überprüfen Sprichwörter. Heute am Fall Edathy: Pecunia non olet

Die Herrn Edathy angebotene Geldauflage, nach deren Erfüllung das gegen ihn gerichtete Verfahren endgültig eingestellt werden wird (bis zur Erfüllung handelt es sich um eine vorläufige Einstellung) sollte dem Kinderschutzbund zukommen. Der aber will das Geld nicht haben unter Hinweis auf einen "moralischen Widerspruch".

Anlass also, das Vespasian zugedachte Zitat (http://de.m.wikipedia.org/wiki/Pecunia_non_olet) zu überprüfen.

Mit den Geldauflagen, die die Gerichte Beschuldigten oder Angeklagten anbieten, verhält es sich so: bei jedem Gericht existieren Listen mit Vereinen, die einen gemeinnützigen Zweck verfolgen und sich in der Regel über Geld freuen.
Stellt nun ein Richter ein Verfahren gegen Auflage ein, entscheidet er auch, ob das Geld der Staatskasse zufließt oder einem der Vereine, die auf der Liste stehen. Nicht wenige Richter versuchen, wählen sie einen Verein, einen Empfänger auszusuchen, der "passt". Wird beispielsweise eine zu Lasten einer Frau begangene Körperverletzung eingestellt, fließt die Auflage gerne mal an den Weißen Ring, bei Vergehen gegen das Tierschutzgesetz an den Tierschutzbund etc..

Das Geld von Herrn Edathy aber ist, jedenfalls nach Auffassung des Kinderschutzbundes, bemakelt. Es stinkt. Ob nach Urin wie bei Vespasian, anderen Körperflüssigkeiten, altem Fisch oder Knoblauch lassen wir dahinstehen, obwohl gerade im Fall Edathy sich weitere Sprichwörterüberprüfungen geradezu aufdrängen würden (Sie wissen schon, der Fisch, der am Kopf zu stinken beginnt u.ä.).
Angesichts von gut 957.000 € Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Bußgeldern (auch der hier in Rede stehenden Auflagen) und Erbschaften alleine in 2013, so der Jahresbericht das Kinderschutzbundes, sind 5000 € freilich nicht der Rede wert.

Eine therapeutische Puppe kostet im Schnitt 50 €, das macht 100 Puppen, die man von dem Geld hätte anschaffen können - theoretisch. 100 mal sinnvolles Spielzeug - theoretisch. 100 Kinder, die sich gefreut hätten - auch theoretisch.
Praktisch fehlen diese 5000 € aber nun in der Bilanz und die Frage stellt sich, wer davon profitiert.
Die sinnvolle Arbeit des Kinderschutzbundes jedenfalls nicht und damit auch nicht die Kinder, die gefördert und geschützt werden sollen. Herr Edathy auch nicht, der muss ohnehin zahlen.
Der Kinderschutzbund hat ein Zeichen gesetzt, das falscher nicht sein kann und erhält dafür paradoxerweise verschiedentlich Zuspruch. Wenn das Schule macht und künftig jeder gemeinnützige ausschließlich Geld von unbescholtenen Bürgern akzeptiert, werden die Einnahmen deutlich zurückgehen..

Wäre es nicht besser gewesen, sich im Sinne des Vereinszwecks etwas weniger moralinsauer zu äußern und stattdessen etwa ein paar Worte dazu zu verlieren, wie traumatisierten Kindern geholfen werden kann mit 5000 €? Das Ganze vielleicht verknüpft mit einem Spendenaufruf, etwa weil man den Meinung ist, 5000 € seien zu wenig Auflage für das vorgeworfene Unrecht?

Ich kann jeden Richter verstehen, der Geldauflagen künftig einer anderen Kinderschutzorganisation zukommen lässt, die im Sinne des Vereinszwecks weniger gutmenschentümlich agiert. Als Verteidiger darf man übrigens für Fälle der Einstellung gegen Geldauflage selbst Vorschläge machen, wem die Auflage zu Gute kommen soll. Bislang haben sich andere Kinderschutzorganisationen nicht zu dem Thema geäußert. Sie mögen dies bitte tun, damit klar ist, wer auch Geld nimmt, dem der Geruch einer Straftat anhaftet.

Ergebnis: Offen.
Anzumerken wäre allerdings, dass auch mit stinkendem Geld gute Sachen gekauft werden können.



Samstag, 28. Februar 2015

Gelbe Karte vor roter Karte

Das Jugendstrafrecht kennt andere Sanktionen als das Erwachsenenstrafrecht, u.a. die Verwarnung. Erhält ein Jugendlicher eine Verwarnung, spricht der Richter ein ernstes Wort mit ihm und damit hat sich die Sache. Eingesetzt wird die Verwarnung üblicherweise bei Bagatelldelikten.

Vor einiger Zeit wartete ich im Sitzungssaal darauf, dass die meinen Mandanten betreffende Strafsache aufgerufen wurde. Die vorangehende Verhandlung beim Jugendrichter neigte sich gerade dem Ende zu und so bekam ich mit, wie der Vorsitzende einen Jugendlichen, der Schmiere gestanden hatte als seine Kumpels in einen Kiosk eingebrochen waren um dort ein paar Süßigkeiten zu klauen, verwarnte.

Das hörte sich ungefähr so an: "Ich verwarne Sie. Das, was Sie gemacht haben, gehört sich nicht und das wissen Sie selbst ja auch. Ich glaube Ihnen, dass Sie sich haben mitreißen lassen, aber das macht es natürlich nicht besser. Trotzdem meine ich, dass es ausreicht, wenn ich Sie nur verwarne. Die Verwarnung ist das, was beim Fußball die gelbe Karte ist. Da macht sich der Schiedsrichter eine Notiz und wenn dann weiter nichts passiert, ist alles ok. Wenn der Spieler aber nochmal ein grobes Foul macht, kriegt er die rote Karte und darf nicht mehr mitspielen. So ist das hier auch. Wenn Sie nochmal auffällig werden, werden Sie auch vom Platz gestellt und dürfen nicht mehr mitspielen. Deshalb denken Sie immer daran, dass Sie heute hier eine gelbe Karte gekriegt haben. Ich will Ihnen nicht irgendwann die rote Karte zeigen müssen. So, und jetzt dürfen Sie gehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute."

Das nenne ich mal eine verständliche Ansprache des Jugendrichters beim Amtsgericht S..

Freitag, 27. Februar 2015

Wir überprüfen Sprichwörter - Heute: Neugier, dein Name ist Weib

Es gibt Termine, bei denen man als Anwalt wenig bis überhaupt nichts ausrichten kann. Dazu gehören Termine mit Sachverständigen, die im Scheidungsverfahren eine Immobilie bewerten sollen. Man hat zwar ein Anwesenheitsrecht als Rechtsanwalt einer Partei bei einem solchen Termin, aber wenn man hingeht, beschränkt sich das, was man tun kann, darauf, anwesend zu sein. So dachte ich bislang jedenfalls und das war auch der Grund, weshalb ich bei derartigen Terminen nie von meinem Anwesenheitsrecht Gebrauch machte. Unlängst war es so, dass eine Gegenseite ankündigte, bei einem solchen Termin dabeisein zu wollen. Infolgedessen schlug ich meinem Mandanten den Wunsch, ebenfalls anwesend zu sein, nicht aus.

Ich war ein wenig früher da, nahm im Wohnzimmer Platz und bekam ein Getränk serviert. So ließ es sich aushalten. Der Sachverständige kam, mit ihm die Gegenseite in Gestalt der Frau Kollegin und er tat, was getan werden musste: vermessen und fotografieren. Hierbei assistierte ihm eine junge Dame, die eifrig notierte, was an Zahlen aus ihm heraussprudelte. Ich blieb im Wohnzimmer sitzen, weil ich es weder für notwendig noch für höflich halte, mich einem Sachverständigen an die Fersen zu heften und jeden Winkel der Wohnung meines Mandanten in Augenschein zu nehmen. Meine Begeisterung würde sich auch in Grenzen halten wenn wildfremde Leute meine Wohnung inspizierten.

Frau Kollegin hatte damit ganz offensichtlich keine Last. Sie war überall dabei. Im Schlafzimmer, der Vorratskammer, im Vorgarten zwischen Beeten und Zierteich und auch im Gästeklo. Alles wurde inspiziert und wenn sie nachgeschaut hätte, ob Staub auf dem Wohnzimmerschrank liegt, hätte auch das mich nicht gewundert. Mein Mandant verfolgte dies mit ungläubigem Staunen und bemerkte schließlich: "Neugier, dein Name ist Weib."

Ergebnis: das Sprichwort stimmt.

Ich hätte übrigens zu gerne gewusst, was die Kollegin sich davon versprochen hat, ihre Nase in andrer Leute Wohnung zu stecken, aber ich habe sie nicht gefragt, obwohl es mich schon brennend interessiert hätte - das Sprichwort stimmt also wirklich. ;-)

Donnerstag, 26. Februar 2015

Wir überprüfen Sprichwörter. Heute: Wer zu spät kommt, den bestraft der Richter

Ob das Leben Zuspätkommer bestraft, wollen wir hier dahinstehen lassen. Der Volksmund (und nicht wie fälschlich angenommen Herr Gorbatschow) behauptet es jedenfalls, aber der spricht ja auch von Vorteilen bei der Nahrungsaufnahme in Bezug auf frühe Vögel.

Fälle, in denen Richter Zuspätkommer bestrafen, gibt es indes zuhauf. Das fängt an, wenn ein Angeklagter zu spät zu seinem Hauptverhandlungstermin kommt und endet beim verspäteten Erscheinen zum Strafantritt. 

Auch bei der Pflichtverteidigerbestellung erweist es sich in der Regel als nachteilig, wenn der Beschuldigte bzw. der Angeklagte ihm gesetzte Fristen versäumt.

Der Gesetzgeber hat durch Schaffung bestimmter Normen dem Umstand Rechnung getragen, dass sich viele Beschuldigte nicht selbst verteidigen können, wenn ihnen eine Straftat vorgeworfen wird. Deshalb wird einem Beschuldigten unter bestimmten Bedingungen ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Im Gesetz liest sich das so.

Wer sucht nun aber den Pflichtverteidiger aus? Auch dafür sieht das Gesetz eine Regel vor, nämlich diese. Der Vorsitzendes des Gerichts ist also nach Absatz 4 zuständig für die Bestellung.

Wen darf er bestellen? Ein Blick ins Gesetz erleichtert auch dieses Mal die Rechtsfindung. Der Vorsitzende soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, einen Verteidiger zu benennen.

Der normale Ablauf stellt sich also wie folgt dar:

1. Das Gericht erkennt, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann, weil eine der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO vorliegt oder sich die Sach- und Rechtslage nach § 140 Abs, 2 StPO schwierig gestaltet, die vorgeworfene Tat schwer ist oder der Beschuldigte bestimmte körperliche Gebrechen aufweist.

2. Der Richter schreibt den Beschuldigten an, er möge binnen einer Frist von X Tagen oder Wochen einen Verteidiger seiner Wahl benennen. Er kann ihn wenn es ganz eilig ist sogar anrufen.

Benennt der Beschuldigte einen Verteidiger, wird ihm dieser als Pflichtverteidiger beigeordnet. Lässt er es hingegen bleiben, bestimmt der Richter, welcher Anwalt beigeordnet wird.

Ich will nun gar nicht näher darauf eingehen, dass viele Richter ihnen angenehme Rechtsanwälte beiordnen, das würde diesen Beitrag sprengen. Gut und im Sinne einer funktionierenden Strafrechtspflege sinnvoll finde ich es nicht, wenn einem Beschuldigten ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, der im gesamten Bezirk als Verurteilungsbegleiter bekannt ist, andererseits wird ein Beschuldigter, dem Dergleichen passiert, sich vorhalten lassen müssen, man habe ihm schließlich die Wahl gelassen.

Was aber passiert, wenn das Gericht von Punkt 2 abweicht und dem Beschuldigten ohne diesen vorher zu fragen, einen Verteidiger beiordnet? Ein Extremfall, zugegeben, dennoch möchte ich kurz darauf eingehen.

Eine solche Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden, die darauf gestützt werden kann, dass man dem Beschuldigten das rechtliche Gehör versagt hat. Eine Beiordnung ohne vorherige Anhörung ist nämlich nur in ausgesuchten Eilfällen statthaft, die in der Praxis kaum vorkommen. Die Versagung rechtlichen Gehörs hingegen ist ein derart schwerer Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, der zu Recht zu rügen ist vor dem Hintergrund, dass ein Beschuldigter die Möglichkeit haben muss, sich von einem Anwalt verteidigen zu lassen, dem er vertraut. Je nach Ausgestaltung des Falles ist daneben zu prüfen, ob eine Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit in Betracht kommt.

Die Fallkonstellation der "Zuspätkommer" betrifft Beschuldigte, die nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist einen Verteidiger benannt haben, sondern erst nach Ablauf dieser Frist.
Das Landgericht Magdeburg hat in einer jüngeren Entscheidung (Aktenzeichen 21 Qs 22/13) eine vorangegangenen Entscheidung des Amtsgerichts Magdeburg aufgehoben, bei der der Beschuldigte nach Ablauf der Frist einen Verteidiger seiner Wahl benannt hatte, das Gericht ihm aber unter Berufung auf die abgelaufene Frist einen anderen Verteidiger beigeordnet hatte. Das Landgericht Magdeburg stellt in seiner Entscheidung klar, dass der Ermessensspielraum des Gerichts bei verspäteter Benennung erheblich eingeschränkt ist. Im Wortlaut hört sich das so an: 

"Allein der Ablauf der gesetzten Benennungsfrist kann dem Beschuldigten dieses Recht nicht nehmen. Denn die Benennungsfrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Vielmehr ist auch ein Vorschlag des Beschuldigten, der nach Fristablauf eingeht, bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen, solange eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht ergangen ist oder eine bereits ergangene Entscheidung noch keine Außenwirkung erlangt hat."

Außenwirkung meint in diesem Zusammenhang übrigens, dass nicht jede verspätete Benennung zwangsläufig dazu führt, dass eine bereits erfolgte Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben wird. Angenommen, das Gericht setzt eine Frist von einer Woche zur Benennung eines Verteidigers. Diese Frist verstreicht. Nach weiteren 2 Wochen ordnet das Gericht Rechtsanwalt X bei, der sich dann die folgenden 10 Wochen in die Sache einarbeitet, Anträge stellt etc.. Schließlich wird das Hauptverfahren eröffnet und Termine werden abgestimmt. Beantragt ein Beschuldigter erst dann die Beiordnung eines von ihm gewünschten Verteidigers wird es eng mit der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung.

Ergebnis: Das Sprichwort stimmt.

Wer also Wert darauf legt, vom Verteidiger seiner Wahl verteidigt zu werden, tut gut daran, dies in den Fällen des § 140 StPO dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen.

Dienstag, 24. Februar 2015

Wir überprüfen Sprichwörter. Heute: Nichts ist so ansteckend wie schlechte Laune

Bisweilen trifft man bei Gericht auf nette Menschen. In Koblenz gehören zu dieser Spezies zweifellos die Protokollführer. Ich kenne dort keinen, der nicht meistens gut gelaunt und zu einem Plausch aufgelegt wäre.

Das krasse Gegenteil erlebte ich unlängst bei einem auswärtigen Amtsgericht und es gab Anlass, das Zitat von Henri Stendhal (1783-1842) zu überprüfen.

Zehn Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung betraten mein Mandant und ich den Sitzungssaal. Auf unser freundliches "Guten Morgen" schallte uns ein barsches "Wer sind Sie?" entgegen. Pflichtschuldigst stellten wir uns der Dame vor und wurden dabei kurz gemustert bevor sie dazu überging, uns keines weiteren Blickes mehr zu würdigen - zumindest vorerst.

Mein Mandant und ich begannen, Akten, Bücher und Laptop auf dem Tisch zu arrangieren, der uns zugedacht war. Die Aktenordner stellten wir hierbei aufrecht vor den Platz meines Mandanten. Als wir gerade dabei waren, sie der Reihe nach zu sortieren, erschallte die unliebliche Stimme der Frau Fürstin Feldmarschall in Gestalt der Protokollführerin: "Ich muss de Angeklagte sehe könne! So könnense des ned lasse!"

Hört, hört. Bislang dachte ich, Protokollführer seien damit befasst, das Protokoll zu führen und nicht, Augenpflege an kräftig gebauten Angeklagten zu betreiben. Die Dame hatte Glück. Sowohl mein Mandant als auch ich waren gut gelaunt. Ich wies ihn an, sich hinzusetzen. Er überragte die Akten mühelos und wurde schon alleine deswegen mit einem vernichtenden Blick bedacht. Ich gestehe, dass mir dieser Blick ein Grinsen entlockte. Wäre ich schlecht gelaunt gewesen, hätte ich mich zu einer launigen Bemerkung hinreißen lassen, aber ich war bester Laune und zudem konnte ich nicht ausschließen, dass die Dame sonst ganz anders war und einfach nur einen kohlrabenschwarzen Tag erwischt hatte. Letztlich hätte sie meine Mutter sein können, was eine gewisse Beisshemmung bei mir zur Folge hatte.

Wir waren übrigens nicht die Einzigen, die Frau Protokollführerin mit ihrem speziellen Charme bedachte und so wurde der Vorsitzende gleich zu Beginn der Sitzung von ihr angeherrscht, er solle schon mal alle Anweisungsbögen für die Zeugen unterschreiben, damit wenigstens das schon mal erledigt sei. Der Vorsitzende guckte nicht kariert genug, dass man davon hätte ausgehen können, er sei von ihr einen anderen Ton gewohnt und fügte sich stirnrunzelnd der erteilten Anweisung. Das konnte heiter werden. Ich kenne Vorsitzende, die an dieser Stelle kurz die Hackordnung im Sitzungssaal geklärt hätten. Dieser hier gehörte nicht dazu, dazu war der Mann zu gut erzogen.

Nun ist es ja so, dass Leute, die in ihrem Job gut sind, manchmal durch eine vorlaute Art imponieren, die sie sich qua überlegenem Wissen bzw. Fertigkeiten durchaus leisten können. Ich vermutete, Frau Protokollführerin gehörte zu dieser Sorte und so beobachtete ich sie ein wenig bei der ihr zugedachten Tätigkeit und - staunte. Obwohl eine Tastatur vor ihr stand, schrieb sie auf ein daneben liegendes Blatt. Als dann der Vorsitzende auf meinen Antrag hin eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung ins Protokoll aufnehmen wollte, war sie nicht in der Lage, sich den Satz auch nach mehrfacher Wiederholung zu merken und so fragte sie belästigt nach jedem zweiten Wort "Was?" Der Vorsitzende sprach übrigens Deutsch und nicht etwa Kisuaheli, obwohl die Dame sich so anstellte. Es dauerte eine Weile bis sie soweit war. Der Wort für Wort diktierende Vorsitzende wirkte nun ein wenig angegriffen, derweil ich mich in die Grundschulzeit zurückversetzt fühlte. Ich kenne Lehrer, die in vergleichbarer Situation mit Gegenständen um sich geworfen hätten, aber auch hier stand dem Vorsitzenden wieder seine gute Erziehung im Wege.

Die Pausen nutzte die Protokollführerin übrigens dazu, ihre handschriftlichen Ergüsse in den gerichtlichen Computer zu übertragen und als ich sah, wie das vonstatten ging, wurde mir klar, weshalb sie nicht von Vorneherein die Tastatur benutzte, welchselbige sie mit exakt zwei Fingern bediente, nachdem sie den jeweils gewünschten Buchstaben entdeckt hatte. Letzteres konnte übrigens dauern. Man darf gespannt sein, wie das Protokoll der Hauptverhandlung irgendwann aussehen wird. Immerhin befinden wir uns beim Amtsgericht und anders als beim Landgericht ist dort ein Wortprotokoll zu führen. Wortprotokoll meint, dass die Aussagen der Zeugen mitgeschrieben werden müssen. Eine Verpflichtung, das Protokoll maschinenschriftlich zu führen, existiert nicht, aber die kurze Einlage mit dem Wortprotokoll ist schon mal vielversprechend.

Ich habe der Dame nach Schluss der Hauptverhandlung übrigens noch einen schönen Tag gewünscht. Sie mir nicht. Macht nix. Wenigstens hat sie mich nicht angesteckt.

Ergebnis: das Sprichwort stimmt nicht.



Freitag, 6. Februar 2015

Schiffe versenken

A4 - Treffer. B2 - kein Treffer. Schiffe versenken. Kennen Sie. Ich auch.

Ich kenne aber noch mehr. Ich kenne es sozusagen "in echt", denn auch ich gehöre zu den Bankkunden, die irgendwann einmal einen der von zahlreichen Banken vertriebenen Schiffsfonds erworben haben. Angepriesen wurde der Fonds als langfristige, sichere Anlage und zunächst ließ sich auch alles ganz gut an. Die quartalsmäßigen Ausschüttungen flossen zwei Jahre lang recht ordentlich, wurden dann reduziert und blieben schließlich ganz aus. Die Geschäftsberichte, die man als Anleger zugeschickt bekommt, lasen sich immer finsterer und so war es keine Überraschung, dass irgendwann ein Schreiben ins Haus flatterte mit dem Inhalt, dass das Schiff in derart schwere See geraten sei, dass seine Versenkung mittelfristig bevorstehe.

Die zugesicherte sichere Anlage in ein Containerschiff der Extraklasse erwies sich also nach relativ kurzer Zeit als windige Investition in einen Frachter, der schnurstracks Kurs auf das Bermudadreieck genommen hatte um sich selbst und mit sich die Gelder der Anleger zu versenken. Und wie es sich für so ein Himmelfahrtskommando gehört, steht man als Anlager ziemlich allein und ohne Rettungsweste an der Reling, Land ist nicht in Sicht und die Bank, die einem den Fonds angedreht hat, erhebt die Einrede der Unzuständigkeit.

Da man in eigener Sache einen Idioten zum Mandanten und einen Trottel zum Anwalt hat, wandte ich mich an eine Kollegin, die nichts Anderes macht als sich für Anleger mit den Banken herum zu ärgern.

Außergerichtlich war die Sache rasch erledigt, denn die Bank hatte nach eigener Einschätzung alles richtig gemacht und lehnte jeden Schadensersatz ab. Also Klage. Das Gericht ordnete mein persönliches Erscheinen an und lud den Anlageberater als Zeugen.

Der Tag der Hauptverhandlung nahte, derweil kurz zuvor weitere finstere Nachrichten der Fondsgesellschaft an mein Ohr gedrungen waren. Der Frachter hatte auf dem Weg zum Bermudadreieck quasi einen Eisberg gerammt, der Kapitän war Piraten in die Hände gefallen und die Besatzung litt an Skorbut. Für mich als Anlager bedeutete dies: die Rückzahlung der in zurückliegenden Jahren des Heils erhaltenen Ausschüttungen wurde in Aussicht gestellt. Sehr zum Wohle, denn mit der Kohle hatte ich längst die heimische Wirtschaft angekurbelt und versteuert war sie obendrein.

Auf dem Weg zum Gericht stellte ich fest, dass ich meine Robe vergessen hatte. Ich war schon drauf und dran, umzukehren, als mir einfiel, dass ich sie gar nicht benötigen würde. Wer nun denkt, dass dieser Umstand ein Gefühl der Erleichterung hervorrief, irrt. Ohne Robe fühlt man sich als Anwalt in einem Gerichtssaal in etwa so wie sich ein Nacktmull inmitten einer Nerzfarm fühlen dürfte. Sicherheitshalber behielt ich meine Jacke an.

Der Anwalt der Bank trug Manschettenknöpfe, Sonnenbankbräune und Gel im Haar. Mich als Strafrechtler nahm er gar nicht ernst und bedachte mich mit diesem Blick, mit dem man Leute anschaut, vor denen einen die Eltern immer gewarnt haben. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, es sei denn, es ist sonst überhaupt niemand da, der mit dir Kellerkind spielen will. Also wurde ein wenig gespielt. A4 - Treffer. B5 -kein Treffer. Siehe oben.

Der Manschettenbeknöpfte und meine Anwältin haben übrigens einen Vergleich geschlossen, über dessen Inhalt ich Stillschweigen bewahren muss. Ich darf also nicht schreiben, um welche Bank es sich handelte, auf welchen klangvollen Namen der Frachter getauft worden war und wann genau wir wo genau verhandelt haben.

Allerdings darf ich schreiben, dass mich die Kollegin Anja Uelhoff aus Hamburg in dieser Sache wirklich hervorragend vertreten hat und sollten Sie, lieber Leser, ebenfalls Probleme mit versenkten Schiffen, windigen Windkraftanlagen und sonstigem Anlagenharakiri haben, rufen Sie sie an und richten ihr einen schönen Gruß von mir aus.