Freitag, 29. März 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - der erste Freispruch

Am gestrigen Tag hat das Landgericht Koblenz einen Angeklagten, dessen Verfahren zum dritten Anlauf hin abgetrennt worden war, freigesprochen und ihm für die erlittene Untersuchungshaft eine Haftentschädigung zugesprochen.

Dem (inzwischen ehemaligen) Angeklagten war die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen worden. Sie stützte sich maßgeblich auf die Aussagen des Kronzeugen der Anklage, auf dessen Aussage hin das Verfahren seinerzeit ins Rollen gekommen war. Dieser Zeuge hatte ausgesagt, der Freigesprochene habe anlässlich einer Demonstration in Dresden Straftaten begangen. Hierauf hatte man im März 2012 den Angeklagten festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht. Kurz vor Prozessbeginn im August 2012 wurde er aus der Haft entlassen, nachdem er den Alibibeweis hatte führen können, am fraglichen Tag gar nicht in Dresden gewesen zu sein. Hiermit konfrontiert erklärte der Kronzeuge, dann habe er Dresden wohl mit einer Kundgebung in Halle verwechselt, bei der keine Straftaten begangen worden seien. Man darf wohl zusammenfassen, dass die Himmelrichtung vom Rheinland aus gen Osten stimmte.

Wer sich nur fragt, weshalb es dann doch insgesamt sieben Jahre gedauert hat bis der Freispruch erfolgt, der werfe einen Blick ins Gesetz, genauer in § 129 StGB. Der Tatbestand setzt das Bestehen einer auf die Begehung von Straftaten gerichteten Vereinigung voraus und Mitglied kann jeder sein, der sich dem Gruppenwillen unterordnet und sich an der Tätigkeit der Organisation beteiligt, wobei die Palette reicht von Durchführung von Straftaten bis hin zum Zahlen von Beiträgen. Trotzdem der Vorwurf "Dresden" für den Angeklagten recht zügig vom Tisch war, hat dies formaljuristisch nicht dazu geführt, dass die Sache unmittelbar danach freispruchreif gewesen wäre. 

Der am gestrigen Tag als Zeuge vernommene Richter des ersten Durchlaufs bestätigte, dass die 337-tägige Hauptverhandlung "nichts, aber auch gar nichts" zu Tage gefördert habe, was auf eine Schuld des Angeklagten hätte schließen lassen. Als Zuschauer hätte ich mir Nachfragen dahingehend gewünscht, warum man nicht schon vorher das Verfahren gegen ihn abgetrennt hatte und ab welchem Zeitpunkt man nicht mehr von einer Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgegangen war, aber Zuschauerbeteiligungen gibt es im deutschen Strafprozess richtigerweise nur bei nachmittäglichen Gerichtssendungen.

Der jetzt zuständige Kammervorsitzende sprach im Urteil sein Bedauern darüber aus, dass der Angeklagte so lange in dem Verfahren verhaftet gewesen sei, schließlich sei die Grundlage der Vorwürfe überschaubar gewesen. Er hätte sich ein früheres Ende für ihn gewünscht und der jetzt erfolgte Freispruch sei überfällig gewesen. Dem kann man nur noch hinzufügen: Alles Gute dem ersten Freigesprochenen!

Der Prozess gegen die noch verbleibenden 12 Angeklagten wird kommenden Dienstag fortgesetzt, wie üblich ab 9.30 in Saal 128.

 

Donnerstag, 28. März 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 7. und 8. Hauptverhandlungstag


Am 7. Hauptverhandlungstag wurde die Vernehmung des aussagebereiten Angeklagten fortgesetzt, die an Ergiebigkeit nicht gewonnen hatte, was angesichts des Zeitablaufs verständlich ist. Es gab Diskussionen über die Länge der Vorhalte der Staatsanwaltschaft aus früheren Vernehmungen dieses Angeklagten, die gemacht worden waren in der Hoffnung, hiermit sein Gedächtnis aufzufrischen. Diese Hoffnung erfüllte sich selbst dann, wenn das Gericht die Vorhalte erlaubte, in weiten Zügen nicht. Der Angeklagte vermochte sich nicht einmal mehr an die Umstände seiner Vernehmung zu erinnern, in der verschriftet worden war, man sei nach einer Mittagspause in der zweiten ganztägigen Vernehmung zum „Du“ gewechselt. Es entspricht nicht den üblichen Gepflogenheiten, dass sich erwachsene Beschuldigte und Vernehmungspersonen Duzen. Genauso wenig üblich dürften Vernehmungsmarathons von zum Teil mehr als 12 Stunden sein. Diese besonderen Umstände wären sicherlich zu vertiefen gewesen, wenn denn die Vernehmung insgesamt gehaltvoller gewesen wäre. Immerhin konnte herausgearbeitet werden, dass die Vernehmungsprotokolle keine Wortprotokolle darstellen. Die geschliffenen anmutenden Formulierungen, die zum Teil Eingang in die Anklage fanden, entsprangen jedenfalls nicht dem gepiercten Mund des Angeklagten.

Am Morgen des gestrigen 8. Verhandlungstag traf ich, von einem plötzlichen Hustenreiz erfasst, meinen ebenfalls hustenden Mitverteidiger vor dem Aufzug des Landgerichts, der sich schon darüber gewundert hatte, dass jeder, der das Gericht betrat, hustete. Wir husteten eine Weile gemeinsam mit einigen Kollegen um die Wette bis wir gewahr wurden, dass im Erdgeschoss jemand Reizgas versprüht hatte. Es folgten ein Feuerwehreinsatz und eine damit einhergehende unfreiwillig lange Pause.


Am Nachmittag begann die Vernehmung zu einem Anklagepunkt, der einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz aus dem Jahr 2011 zum Gegenstand hat. Die Beweisaufnahme zu diesem Punkt wird auch die nächsten Verhandlungstage in Anspruch nehmen, wobei das Beweisprogramm um einen zwischenzeitlich nach Kenia verzogenen Zeugen gekürzt werden könnte, sollte dieser "unerreichbar" im Sinne des Gesetzes sein. 

Donnerstag, 21. März 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 6. Hauptverhandlungstag

Am gestrigen 6. Hauptverhandlungstag wurde die am Vortag begonnene Vernehmung des einzig aussagebereiten Angeklagten fortgesetzt. Dieser befindet sich seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in einem Zeugenschutzprogramm, so dass er zu seiner gegenwärtigen Wohn- und Lebenssituation keine Angaben machen musste.

Das Gericht befragte ihn zu einzelnen, ihn betreffenden Anklagepunkten. Daneben stand er für Fragen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung, nicht jedoch für solche der Verteidigung bzw. der Angeklagten selbst. Dieses Verhalten ist durchaus legitim, schließlich hat ein Angeklagter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren alle denkbaren Möglichkeiten: er darf aussagen, er darf schweigen und er darf teilschweigen. Teilschweigen meint, dass er jederzeit seine Aussage abbrechen darf oder wie hier sich vorbehalten darf, nicht auf Fragen der Verteidigung zu antworten. Im Gegensatz zur Variante des Schweigens, aus dem keine für den Angeklagten negativen Schlüsse gezogen werden dürfen, darf das Gericht alles, was er sagt, auch gegen ihn verwerten und auch aus einem Teilschweigen negative Schlüsse ziehen.

Der Angeklagte, der bereits im ersten Anlauf umfassende Angaben gemacht und dessen Vernehmung seinerzeit 8 Hauptverhandlungstage in Anspruch genommen hatte, wird noch an mindestens einem weiteren Tag vernommen werden. Dass es diesmal schneller geht, liegt jedoch nicht etwa daran, dass das Gericht weniger wissen wollte als vor 7 Jahren, sondern ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass die Erinnerung des Angeklagten mit der Zeit nicht besser geworden ist.

Einen von meinem Mitverteidiger und mir gestellten Antrag auf Videoaufzeichnung des Verfahrens hat das Gericht übrigens in der Zwischenzeit zurück gewiesen. Der Vorsitzende äußerte sinngemäß in diesem Zusammenhang am Rande eines kleinen juristischen Schlagabtauschs mit der Verteidigung, ganz froh zu sein, dass keine Aufzeichnung erfolge. Diese Freude teile ich nicht. In anderen Ländern sind Aufzeichnungen von Gerichtsprozessen längst die Regel und einige deutsche Gerichte lassen Aufzeichnungen in Umfangsverfahren bereits zu. Gerade in lange andauernden Verfahren wäre es für alle Beteiligten vorzugswürdig, auf Aufzeichnungen zurückgreifen zu können, aber so weit sind wir zumindest in Koblenz noch nicht.

Das Verfahren wird kommenden Dienstag fortgesetzt.
 


Mittwoch, 20. März 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 5. Hauptverhandlungstag oder : Da waren es nur noch 12

Der Tag startete mit einem Angeklagten weniger. Das Verfahren gegen ihn war wegen der langen Verfahrensdauer und der damit einhergehenden erheblichen Belastung für ihn eingestellt worden. Nach dem bisherigen Verfahren sei seine Schuld als gering anzusehen im Sinne des § 153 StPO und ein öffentliches Interesse an der Verurteilung bestehe nicht mehr. Mit Kosten wurde dieser Angeklagte nicht belastet; diese trägt die Staatskasse. Haftentschädigung für die 59-tägige Untersuchungshaft wurde ihm hingegen nicht zugesprochen.

Ob der ehemalige Angeklagte in dem Verfahren wieder als Zeuge auftauchen wird - am 4. Hauptverhandlungstag hatte er alle vorher gemachten Angaben widerrufen - bleibt abzuwarten.

Erfreulich und in der Konsequenz nicht mehr als richtig ist, dass die Kammer den Angeklagten seit gestern gestattet, ihre eigenen Laptops mitzubringen um diese dazu zu nutzen, Einsicht in die Akten  und in ihre eigenen Notizen aus dem 1. Durchgang zu nehmen. Dieser Punkt hatte in den Hauptverhandlungstagen zuvor immer wieder zu Diskussionen zwischen den Prozessbeteiligten geführt.

Donnerstag, 14. März 2019

Landgericht Aachen - Bücher statt Btm

Einige Zeit beschäftigte ein Verfahren vor dem Landgericht Aachen die dortige 9. Strafkammer gegen 5 Angeklagte, denen bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen worden war.

Die Urteile gegen 3 der 5 Angeklagten fielen vergangene Woche, wobei Haftstrafen zwischen 5 Jahren und 20 Monaten verhängt worden waren. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Die beiden anderen Männer, darunter mein Mandant, sind bereits im vergangenen November freigesprochen worden und diese Freisprüche sind in Rechtskraft erwachsen. Nachdem mein Mandant freigesprochen war, habe ich das Verfahren gegen die weiteren Angeklagten nur noch in der Presse verfolgt, die zu Beginn des Verfahrens noch sicher war, dass den Ermittlungsbehörden ein ganz großer Schlag gegen einen Drogenhändler-Ring gelungen sei. Danach folgte Berichte, die die Arbeit der Verteidigung auf´s Korn nahmen. Es sollen viele Anträge gestellt worden sein. Hört, hört! Dass die Arbeit von Verteidigern, die Beweisanträge stellen um ein ungerechtes Urteil gegen den eigenen Mandanten zu verhindern, oftmals als Querulantentum dargestellt wird, ist für sich genommen nichts Neues. Dieser Fall jedoch ist ein Lehrstück dafür, wie notwendig solche Anträge sind, damit der Mandant am Ende des Verfahrens nicht jahrelang gesiebte Luft atmet.

Die Ermittlungsbehörden, deren Arbeit das Gericht in beachtenswerter Klarheit zu Recht kritisiert hat, hatten sich nicht mit Ruhm bekleckert. Eine führende Ermittlungsbeamtin war sich nicht zu schade, in ihrer Vernehmung als Zeugin zu bekunden, sie sehe es nicht als ihre Aufgabe an, Entlastendes zu ermitteln.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass bereits beim Lesen der Akte der Eindruck entstand, dass Observationen immer dann abgebrochen wurden, wenn sie entlastend zu werden drohten. Ich erinnere mich an den ebenfalls freigesprochenen Mitangeklagten, der observiert worden war, wie er mit einer Sporttasche in Richtung der Aachen Arkaden schlenderte. In der Sporttasche, so die Vermutung der Ermittler, müssen sich Betäubungsmittel befunden haben. Wären die Beamten ein wenig länger drangeblieben, wäre ihnen nicht entgangen, dass der Mann in ein Fitnessstudio in den Aachen Arkaden gegangen war; nicht um dort Handel zu treiben, sondern um Hanteln zu schwingen. Mein Mandant war ebenfalls mehrfach mit großen Tüten in der Nähe seiner Unterkunft gesehen worden. Auch dies höchst verdächtig. Leider verfolgte man ihn nur bis kurz vor die Tankstelle, in der er die in der Tüte befindlichen Pfandflaschen in den Automaten warf. Zu allem Überfluss verkaufte er große Teile seiner Büchersammlung, wobei die Anklage davon ausgegangen war, bei dem Wort "Bücher", das in mehreren EMails aufgetaucht war, handele es sich um Drogen. Nachdem das Gericht viele Zeugen (übrigens auf Antrag der Verteidigung) vernommen hatte, war klar: Sportsachen, Pfandflaschen und Bücher sind tatsächlich Sportsachen, Pfandflaschen und Bücher.

Dass der Mandant monatelang unschuldig in Untersuchungshaft saß, wird ihm pro Tag mit 25 Euro entschädigt werden. Das sind 100 Pfandflaschen...    

Mittwoch, 13. März 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 4. Hauptverhandlungstag oder: Der 7. Jahrestag


Nachdem am gestrigen Tag der Vorsitzende einem Verteidiger das Wort entzogen hatte, während dieser dabei war, eine Eingangserklärung nach § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO abzugeben, stellte der Verteidiger für seinen Mandanten ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden. Die Entziehung des Wortes ist ein scharfes Schwert und muss ultima ratio sein. Der Vorsitzende hatte seine Entscheidung damit begründet, die Eingangserklärung überschreite die Grenzen der Vorschrift.


Die Vorschrift ist noch recht neu und in der Rechtsprechung findet man bislang nicht viel zu ihr. Sie ist im Gegensatz zu manch anderem Gesetzes vom Ausgepauktsein noch weit entfernt. Dass sie im Rahmen der Revision im Wege der Verfahrensrüge über § 338 Nr. 8 StPO überprüft werden kann, dürfte jedoch auf der Hand liegen. Was genau Inhalt der Eingangserklärung sein kann oder darf, wird daher sicher noch Gegenstand von Entscheidungen sein. Dem Wortlaut nach hat sie sich mit der Anklage auseinander zu setzen. Unterstellt man einmal, dass es dem Gesetzgeber nicht lediglich darum gegangen ist, die Verteidigung bzw. den Angeklagten hiermit zu einer frühzeitigen Einlassung zu ermuntern, dann wird man gerade in Verfahren, die nach einer Aussetzung von Neuem beginnen, den Wortlaut nicht überstrapazieren dürfen.


Der Ablehnungsantrag klassifizierte die Entziehung des Wortes als willkürlich und zudem als Ungleichbehandlung. Andere Verteidiger seien mit ihren Erklärungen, die sich ebenfalls nicht nur am Wortlaut der Vorschrift ausgerichtet hätten, nicht unterbrochen worden. Nachdem er die Erklärungen der anderen Verteidiger ebenfalls für sachgerecht hielte, nehme er nicht unzulässigerweise das Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht für sich in Anspruch, sondern besorge die Beschränkung eigener Erklärungsrechte.


Das Gericht hat die Verhandlung trotz Widerspruchs nach § 29 Abs. 2 StPO fortgesetzt.


Wie bereits am Vortag wurde erneut die Untersagung der Nutzung eigener Laptops zugunsten insuffizienter E-Book-Reader thematisiert.


Mein Mandant wies – am 7. Jahrestag seiner Festnahme, der sich eine 666 Tage andauernde Untersuchungshaft angeschlossen hatte – darauf hin, dass es keine Option sei, die Angeklagten darauf zu verweisen, ihre Anmerkungen zur Akte in Schriftform zu Papier zu bringen. Tags zuvor hatte der Vorsitzende geäußert, die Angeklagten könnten versichert sein, dass er sich in ihre Lage hineinversetzen könne. Dies zog mein Mandant in Zweifel. Er, der Vorsitzende, habe keine Vorstellung davon, wie er als Angeklagter sich fühle. Als Angeklagter in einem Verfahren dieser Größenordnung müsse man damit rechnen, sich irgendwann wieder mit Handfesseln auf dem Rücken im Flur der eigenen Wohnung liegend wiederzufinden und es nicht verhindern zu können, dass schriftliche Unterlagen beschlagnahmt würden. Bereits deshalb sei die Nutzung von Laptops unumgänglich.


Dem war nichts hinzuzufügen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass, unterstellt, der Vorsitzende hätte sich in die Lage der Angeklagten hineinversetzen können, er diesen Aspekt nicht auf der Agenda hatte, obwohl gerade er verdeutlicht, wie groß die Einschränkung der Verteidigung ist, wenn ein Angeklagter nicht auf seine eigene digitalisierte Akte zurückgreifen kann. Es ist kein Geheimnis, dass für den Fall, dass die Kammer ihre Haltung in diesem Punkt nicht ändern sollte, die Beschränkung der Verteidigung weiter Thema sein wird.


Noch am Vormittag gab das Gericht den Angeklagten Gelegenheit, sich zur Person und/oder zur Sache zu äußern.


Ein Angeklagter, der sich im ersten Durchgang sowohl Person wie auch zur Sache eingelassen hatte, ließ eine Verteidigererklärung dahingehend abgeben, er widerrufe alle Angaben, die er bisher bei den Ermittlungsbehörden sowie in der Hauptverhandlung gemacht habe und mache von seinem Schweigerecht Gebrauch.


Ein weiterer Angeklagter, der sich seit 2012 in einem Zeugenschutzprogramm befindet und der bereits im ersten Durchgang Angaben gemacht hatte, ließ über seine Anwältinnen erklären, er werde sich im nächsten Hauptverhandlungstermin zur Person und zur Sache einlassen und für Nachfragen durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehen. Fragen von Mitangeklagten und deren Verteidigern würden nicht beantwortet.


Die Verhandlung endete noch vor der angedachten Mittagspause. Bis zum voraussichtlichen nächsten Termin am kommenden Dienstag wird das Gericht über den gestellten Befangenheitsantrag zu entscheiden haben.

Dienstag, 12. März 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 3. Hauptverhandlungstag


Der Tag begann mit Wortmeldungen zu einem Hinweis der Kammer, diese sei hinsichtlich einer konsensualen Beendigung des Verfahrens grundsätzlich gesprächsbereit. Dem vorausgegangen war eine Anregung eines Verteidigers, das Verfahren zu einem zügigen Abschluss zu bringen. Es wurden verschiedene Szenarien erörtert, angefangen bei Kostenquotelungen bis hin zu möglichen Entscheidungen zu Fragen der Strafrechtsentschädigung, die letztlich allesamt unkonkret blieben. Es gab zahlreiche Wortmeldungen zur Frage möglicher Gesamt- und Einzellösungen und es ist keine Überraschung, dass der dritte Durchlauf nicht mit dem heutigen Tag beendet war.



Das Gesetz sieht in § 257c StPO sog. Verständigungen vor, die an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind. Da heißt es, dass Gegenstand der Verständigung nur die Rechtsfolgen sein dürfen, übersetzt also, die Höhe der Strafe. Liest man einen Satz weiter, stößt man auf die Formulierung, dass Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis sein soll. Die ganze Sache beruht also auf einem Geben und Nehmen und wird nicht einfacher, je mehr Angeklagte beteiligt sind. Die Vorschrift, man erkennt ihre noch nicht allzu lange Existenz am Kleinbuchstaben „c“, basiert auf dem Gesetz zur Vereinfachung des Strafverfahrens aus dem Jahre 2009. Hintergrund war es, die bis dahin nicht unüblichen Gespräche im Richterzimmer abzuschaffen, zu denen sich die Beteiligten zusammenfanden um eine für alle Beteiligten gangbare Lösung zu finden und ein Verfahren abzukürzen. Diese Gespräche müssen seit 2009 im Gerichtssaal stattfinden, was grundsätzlich zu begrüßen ist, aber nichts daran ändert, dass man alten Wein in neue Schläuche gefüllt hat. Im Anschluss an die Gespräche ist es dann Sache des Gerichts, bekannt zu geben, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Normalerweise erhalten Staatsanwaltschaft und Verteidigung vom Gericht ein Schriftstück, dem die Eckdaten der Verständigung zu entnehmen sind und keiner am Ende sagen kann, man habe sich missverstanden. Wenn alle Beteiligten mit dem gerichtlichen Vorschlag einverstanden sind, kann ein darauf basierendes Urteil ergehen.



Die weit überwiegende Zahl der Angeklagten hat bislang zu den Tatvorwürfen geschwiegen, derweil der Vorwurf der kriminellen Vereinigung trotz eines Großaufgebots an Zeugen immer mehr bröckelte und nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme des ersten Durchgangs nicht aufrecht zu erhalten sein dürfte. Geständnisse bezogen auf eine kriminelle Vereinigung sind fernliegend und was mögliche Kosten anbelangt, kann es für die Angeklagten dahinstehen, ob sie angesichts der angeblich 30 Millionen Kosten, von denen häufig die Rede ist, im Falle einer Verurteilung die Privatinsolvenz einläuten müssen oder mit 100.000 €.



Demgegenüber interessant war die Diskussion über die den Angeklagten untersagte Nutzung eigener Laptops in der Hauptverhandlung. Das Gericht hat den Angeklagten in einer sitzungspolizeilichen Verfügung zwar die Nutzung von E-Book-Readern gestattet, nicht jedoch von Laptops. Bedingt durch die Aktenmenge gibt es aktuell keinen E-Book-Reader auf dem Markt, auf dem man die Prozessakten speichern könnte. Einen Antrag meines Mitverteidigers und mir, uns zu gestatten, auf Staatskosten eine Kopie des Akteninhalts für den Mandanten anzufertigen und dafür Sorge zu tragen, dass im Saal genügend Platz zur Verfügung steht, diese dort vorzuhalten, war ebenfalls zurückgewiesen worden. Faktisch haben die Angeklagten also während der Hauptverhandlung keine eigene Akte zur Verfügung. Die Frage der Rechtmäßigkeit der sitzungspolizeilichen Verfügung wird in Kürze das Oberlandesgericht beschäftigen.



Nach der Mittagspause verlas die Kammer ihre Entscheidungen zu den erhobenen Besetzungsrügen und wies diese als unbegründet zurück. Grob skizziert hält sich die Kammer nunmehr für zuständig und in jeder Hinsicht richtig besetzt. Insbesondere den karnevalistischen Hilfsschöffen hielt sie für hinreichend entschuldigt. Es wird also weitergehen bei der 12. Strafkammer. Seitens der Angeklagten kann diese Entscheidung der Kammer nur noch mit der Revision angegriffen werden.



Nachdem die Strafprozessordnung seit ihrer letzten Reform Eingangserklärungen zur Anklage in Umfangsverfahren vorsieht (neudeutsch auch „opening statement“ genannt), wurde Gelegenheit dazu gegeben, diese abzugeben. Hiervon machten einige Rechtsanwälte Gebrauch, wobei es Unstimmigkeiten gab hinsichtlich Darstellung und Umfang der Eingangserklärung. Nachdem die Darstellung weitgehend eine Sache des persönlichen Geschmacks ist, ist der Umfang bei einer 926-seitigen Anklageschrift sicher größer als bei einer weniger umfangreichen Anklageschrift, aber es gibt bekanntlich kaum etwas, was nicht einer kontroversen Diskussion zugänglich ist, erst recht nicht, wenn es sich um relativ neue Vorschriften handelt, über die es bislang wenig ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt.



Das Verfahren wird morgen fortgesetzt.