Donnerstag, 25. Oktober 2018

Aktionsbüro Mittelrhein - 3. Hauptverhandlungstag


Der dritte Hauptverhandlungstag war nur bis 14 Uhr angesetzt und drehte sich die ersten Stunden um die Reihenfolge der anstehenden Prozesshandlungen. Die Verteidiger hatten eine Vielzahl von Anträgen angekündigt, namentlich Besetzungsrügen, Ablehnungsanträge, Aussetzungsanträge sowie Eingangserklärungen (sog. „Opening Statement“) nach § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO. Eingangserklärungen zur Anklage gibt es erst seit der Reform des Strafprozessrechts 2017. Sie sind nur in Umfangsverfahren vorgesehen und sollen nach dem Wortlaut des Gesetzes vor der Vernehmung des Angeklagten erfolgen und nach Verlesung der Anklage. Besetzungsrügen müssen zwingend vor Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache erfolgen, damit sie nicht verspätet und damit unbeachtlich sind, § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO. Ablehnungsanträge müssen in laufender Hauptverhandlung unverzüglich gestellt werden, § 25 Abs. 2 StPO bzw. bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, § 25 Abs. 1 Satz 1 StPO.



Man sieht: alles wichtig, alles eilig und jeder wollte als Erster zu Wort kommen. Je nachdem, welcher Verteidiger welchen Antrag im Köcher hatte, sprach sich für den Vorrang dessen aus, so dass die Frage der Reihenfolge in den Reihen der Verteidigung keineswegs konsensual diskutiert wurde. Die Kammer legte letztlich die Reihenfolge dahingehend fest, dass zunächst die Befangenheitsanträge zu stellen waren.



Bevor es jedoch hierzu kam, wurde der am Vortag von zwei Staatsanwälten verlesene Anklagesatz kritisch beleuchtet. Dieser wurde nicht so verlesen, wie er im Mai 2012 zugelassen worden war, sondern in modifizierter Form. Die Modifikationen waren dem Umstand geschuldet, dass sich die Anklage ursprünglich gegen 26 Personen richtete, von denen inzwischen 10 aus dem Verfahren ausgeschieden sind. Die Ausgeschiedenen waren salopp als „Zeugen“ klassifiziert worden. Eine prozessuale Begründung zu dieser Verfahrensweise war nicht angeführt worden.  Die Kammer gab zu erkennen, sich im Rahmen von zu erteilenden Hinweisen hierzu positionieren zu wollen.



Dass der Anklagesatz seiner Formulierung nach nicht klar hervorbrachte, dass es sich hierbei nicht um einen feststehenden Sachverhalt handelt, sondern lediglich um einen erst noch aufzuklärenden Sachverhalt, war Gegenstand eines Befangenheitsantrages gegen die Schöffen und Hilfsschöffen. Die suggestiven Formulierungen des Anklagesatzes führten dazu, dass sich bei den Laienrichtern zumindest unterbewusst festsetze, alles habe sich exakt so ereignet wie verlesen mit der Folge, dass die Schöffen den Angeklagten nicht mehr vorbehaltlos gegenüberstünden. Diesem Antrag schlossen sich die übrigen Angeklagten mehrheitlich an.



Weitere Ablehnungsgesuche waren gegen einen Richter gerichtet, der gleichzeitig Mitglied des Präsidiums ist und an einer Entscheidung über eine im Vorfeld zur Hauptverhandlung erhobene Besetzungsrüge beteiligt war sowie gegen den Vorsitzenden. Dieser sei Mitglied der SPD und habe sich an einer Unterschriftenaktion zur Umbenennung des „Palandt“ (ein zivilrechtlicher Standardkommentar, benannt nach Otto Palandt) beteiligt.

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Aktionsbüro Mittelrhein - 2. Hauptverhandlungstag


Der zweite Tag im zweiten Durchgang begann mit deutlich weniger Pressebeteiligung als der erste Tag. Gerade einmal zwei Journalisten hatten sich eingefunden.
Erfreulich war der Besuch einer Schöffin aus dem ersten Durchgang der Hauptverhandlung, die von vielen Verfahrensbeteiligten freudig begrüßt wurde. 

Ebenso erfreulich wie souverän die Ansage des Vorsitzenden, dass die Verfahrensbeteiligten sich nur zu Beginn des jeweiligen Hauptverhandlungstages zu erheben haben. In Koblenz entspricht es den Gepflogenheiten, dass bei jedem Eintreten des Gerichts einer der anwesenden Justizwachtmeister ruft „Bitte aufstehen!“, was vielfach dazu führt, dass sich tatsächlich alle erheben. Ich hatte mich an anderer Stelle schon einmal darüber ausgelassen, dass Bewegung zwar guttut, aber eben keine Verpflichtung zum Auf und Nieder besteht.

Die Zeit bis zur Mittagspause wurde gefüllt mit Anträgen und Diskussionen über den Gang der Hauptverhandlung. Nachdem die Verteidigung bereits am ersten Hauptverhandlungstag Besetzungsrügen sowie Aussetzungs- und Befangenheitsanträge angekündigte hatte, wäre nach Feststellung der Personalien der Angeklagten nun der Zeitpunkt gewesen, diese anzubringen. Demgegenüber ordnete der Vorsitzende an, dass die Anklageschrift verlesen werden solle. Angesichts des Umfangs der Anklageschrift (926 Seiten, der in der Hauptverhandlung von der Staatsanwaltschaft zu verlesende Teil beträgt knapp 70 Seiten) wäre es aus Gründen der Prozessökonomie durchaus sinnvoll gewesen, zunächst die angekündigten Anträge stellen zu lassen.  Bis dann über die Widersprüche der Verteidigung zur beabsichtigten Vorgehensweise des Vorsitzenden entschieden war und auch die Gegenvorstellungen angebracht waren, hätten einige der Anträge sicher schon Gehör finden können, so aber trat eine gewisse Überlänge ein durch die Unterbrechungen, in denen die Kammer ihre Beschlüsse fassen mussten. 

Als eine Art Nebenkriegsschauplatz sei die Diskussion um das Namensschild eines Verteidigers erwähnt. Im ersten Durchgang hatte ein Angeklagter, gelernter Schreiner und infolge der Terminierungsdichte freilich arbeitslos, Namensschilder aus Holz für einige Rechtsanwälte und Angeklagte angefertigt. Ein Rechtsanwalt hatte dieses Schild an seinen Platz vor das seitens der Justiz angefertigte Plastikschild  gestellt und wurde vom Vorsitzenden aufgefordert, dieses zu entfernen, da es „irritierend“ sei. Der Kollege verwies auf die Historie des Schildes - für ihn führe das erste Schild – und machte keine Anstalten, es abzuräumen. Tatsächlich spricht mehr für als gegen die handgearbeiteten Schilder. Im Gegensatz zu den Holzschildern enthalten die Plastikschildchen Schreibfehler, akademische Grade werden weggelassen und manche sind vergilbt oder defekt. Ich überlege, mir auch so ein Schild zuzulegen, schrecke allerdings ob der Länge meines Namenszuges davor zurück, schließlich müsste ich das Massivholzteil ja auch transportieren. Davon ab befürchte ich, dass es den vorgesehenen Zweck nicht wird erfüllen können. Wir, also Kollege Siebers und ich, sitzen in der fünften von sieben Reihen. Es darf bezweifelt werden, dass die Richterbank ab Reihe 3 überhaupt noch ein Schild – ob Holz oder Plastik ist gleichgültig – entziffern kann.

Obwohl die Kammer trotz der erheblichen Einwände der Verteidigung nicht bereit war, von ihrer vorgegebenen Reihenfolge abzusehen, wurde am Nachmittag der Anklagesatz verlesen und zwar stellenweise gleich mehrfach, weil ein Anwalt eingenickt war. Das Gesetz sieht vor, dass ein Angeklagter in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht verteidigt sein muss und dazu muss dessen Anwalt nicht nur körperlich anwesend sein. Sämtliche Verfahrenshandlungen, die in Abwesenheit eines notwendigen Verfahrensbeteiligten vorgenommen werden, müssen wiederholt werden, so auch hier die verschlafenen Teile des Anklagesatzes.

Montag, 15. Oktober 2018

Aktionsbüro Mittelrhein - 1. Hauptverhandlungstag

Gemeinsam mit meinem alten Freund und Kollegen Werner Siebers verteidige ich einen der Angeklagten im Prozess "Aktionsbüro Mittelrhein" vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz. Nachdem das Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer im Frühjahr 2017 eingestellt worden war, hatte das Oberlandesgericht Koblenz einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft folgend beschlossen, dass das Verfahren von Neuem beginnen muss.

Heute war es soweit. Der Beginn des Verfahrens verzögerte sich durch die Erkrankung eines Angeklagten, der zunächst dem Amtsarzt vorgeführt wurde. Dieser hatte darüber zu entscheiden, ob der Angeklagte trotz seiner Erkrankung imstande ist, der Hauptverhandlung zu folgen. Gegen 10.30 Uhr stand fest: er ist es nicht und wird es in dieser Woche auch nicht mehr sein.

Die Staatsschutzkammer, besetzt mit 3 Berufsrichtern, 2 Schöffen, 2 Ergänzungsrichtern und 2 Ersatzschöffen, kündigte hierauf an, das Verfahren gegen den erkrankten Angeklagten abtrennen zu wollen. Folge davon wäre gewesen, dass er aus dem Prozess "ausgeschieden" wäre und gesondert hätte verhandelt werden müssen. Den Prozessbeteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Eine Vielzahl von Verteidigern, darunter auch mein Kollege und ich, widersprachen dieser Absicht. Zum Einen ist die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten zeitlich sehr überschaubar und zum Anderen wäre die Abtrennung alles andere als prozessökonomisch. Demgegenüber erklärte einer der anwesenden Staatsanwälte, es sollte abgetrennt werden, damit der Prozess beginnen könne.

Die Kammer kündigte an, nach einer kurzen, die Rede war von 5 Minuten, Unterbrechung entscheiden zu wollen.

Sie nahm sich länger Zeit und entschied dann, dass das Verfahren gegen den Angeklagten nicht abgetrennt werde.

Fortsetzungstermin wurde bestimmt auf kommenden Dienstag ab 9.30 Uhr.

Hinsichtlich der weiteren, seitens der Verteidigung angekündigten Anträge beispielsweise auf Aussetzung bzw. Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, sicherte die Kammer zu, diese könnten ohne Rechtsverlust auch im nächsten Termin gestellt werden.

Schließlich kündigten einige Verteidiger an, im nächsten Termin von der Möglichkeit einer Eingangsbemerkung (Opening Statement) nach § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO Gebrauch machen zu wollen.

Der erste Prozesstag endete mit der Feststellung der Anwesenheit von Angeklagten und Verteidigern kurz vor Mittag.