Dienstag, 8. Dezember 2015

Robin Hood und die vier Männer am See

Gestern ging ein Prozess vor dem Landgericht Bad Kreuznach zu Ende, an dessen Beginn die Zulassung einer Anklage gegen fünf junge Männer wegen bandenmäßigen erpresserischen Menschenraubes, räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung stand.

Zwei der Angeklagten hatten auf Anraten ihrer Herren Verteidiger bereits im Ermittlungsverfahren "ausgepackt", wovon sie sich ganz erhebliche Vorteile erhofft hatten, die sich bei einer Betrachtung ex post in Grenzen hielten.  Das Verhalten der Kollegen war trotz ihrer Verteidigungsstrategie ungewöhnlich. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Herren bei jedem meiner Anträge sowie der Anträge meiner Kolleginnen Christine Henn und Katja Kosian vernehmbar stöhnten oder die Augen gen Himmel richteten, offenbar verkennend, dass die Beweisanträge auch vorteilhaft für ihre Mandanten waren. Da hätte man sich von den Kollegen diejenige Professionalität gewünscht, mit der die Strafkammer mit den Anträgen umging.

Doch nun zum Fall, der recht kurios war:
Fünf junge Männer spielten "Robin Hood" und schrieben sich die Bekämpfung der Pädophilie auf die Fahne. Sie gaben Anzeigen in Erotikportalen auf im Stil von "Junge Sie sucht reifen Ihn für erotisches Abenteuer gegen Taschengeld". In sich anschließenden Chats gaben sie sich als 13-jähriges Mädchen aus. Wer nun glaubt, dies hätte die Herrschaften, die auf die Anzeige reagierten, abgeschreckt, irrt. Die Jungs erhielten nach ihren übereinstimmenden Aussagen zahllose Zuschriften, teils mit Bildern der Geschlechtsteile der Herren offenbar zur Dokumentation, dass die "Ausstattung" ein 13-jähriges Mädchen nicht überfordern dürfte, teils mit nicht zitierfähigen Textnachrichten, die keinen Zweifel daran ließen, dass juveniles Alter sie keinesfalls störe.

Die Männer, alle aus bürgerlichen Verhältnissen stammend, wurden zu einem See bestellt, an dem sie nicht von der 13-jährigen erwartet wurden, sondern von den Angeklagten, die sie mit ihren Neigungen konfrontierten. Teils setzte es Ohrfeigen, teils nahm man ihnen Handy und Bargeld weg und in einem Fall (der verhinderte Freier zählt um die 60 Lenze) fuhr man mit diesem zur Bank, damit er dort Geld abheben konnte. Die Beute von 4 Taten belief sich auf unter 1000 Euro, so dass man den Einlassungen der Angeklagten, es sei ihnen nicht ums Geld gegangen, durchaus Glauben schenken durfte.

Nun rechtfertigt die Tatsache, dass man gegen Pädophile vorgehen möchte, freilich nicht die begangenen Straftaten, denen ein eigener Unrechtsgehalt innewohnt. Gleichwohl muss man bei der Sanktionierung der Täter auch die Schutzbedürftigkeit der Opfer im Blick haben und diese Opfer waren, so auch die Strafkammer in der Urteilsbegründung, so wenig schützenswert wie selten ein Opfer.

Die Männer wurden übrigens allesamt eidlich vernommen. Was sie dabei zum Besten gaben, möchte ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten.

Nummer 1 schilderte, er habe den Chat mit dem Mädchen für einen Fake gehalten und in Wirklichkeit dahinter einen oder zwei starke Männer vermutet, die ihn hätten vermöbeln wollen. Aus diesem Grund sei er zu dem vereinbarten Treffpunkt am See gefahren, weil er sich hiervon habe überzeugen wollen. Die pure Neugier habe ihn getrieben.

Nummer 2, der verheiratete Sechziger, der angegeben hatte, seine Frau habe ihm nach seiner Beichte die Hölle heiß gemacht, hielt das Ganze für einen Jux und den Chat mit dem Mädchen empfand er als spaßig. Nie und nimmer hätte er sexuelle Handlungen an oder mit einer 13-jährigen vorgenommen, von der er bei seiner polizeilichen Vernehmung behauptet hatte, sie habe sich als 17-jährige ausgegeben. Ach nein, hatte er gar nicht. Er war sich nämlich nicht einmal zu schade, in der Hauptverhandlung zu behaupten, die Polizeibeamten hätten seine Aussage falsch aufgenommen. Warum er deren angebliches Schreibversehen nicht beim mehrfachen Vor- und Durchlesen korrigiert hatte, vermochte er indes nicht zu erklären.

Nummer 3, ein recht kreativer Fünfziger, behauptete, ein Rollenspiel hinter der Anzeige vermutet zu haben, weshalb er zum See gefahren sei. Zu schade, dass er nicht wusste, was ein Rollenspiel ist, aber er stehe da ohnehin nicht drauf. Mit anderen Worten: er ist zum See gefahren zwecks Teilnahme an einem Rollenspiel, von dem er nichts hält und von dem er nicht einmal erklären kann, was es ist.

Nummer 4 wurde bislang nicht identifiziert. Von ihm existiert ein Video, in dem er darauf hinweist, dass er ein Cochleaimplantat (eine Hörhilfe) trägt. Großartig nach ihm gesucht haben die Ermittlungsbehörden allerdings nicht, so dass uns eine vierte Lügengeschichte erspart blieb. Der Vorsitzende erklärte in der Urteilsbegründung, die Kammer sei selten so belogen worden.

Was die Ermittlungsbehörden aus den eidlichen Aussagen der Herrschaften an Konsequenzen ziehen wird, bleibt abzuwarten. Zu hoffen bleibt, dass sie einen Meineid besser zu subsumieren wissen als einen § 182 Abs. 4 StGB.  Gegen die Männer waren Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die aber ohne jegliche Ermittlungen sang- und klanglos eingestellt wurden mir der Begründung, am Tatort habe sich kein taugliches Tatobjekt befunden. Man nennt dies auf "Juradeutsch" einen untauglichen Versuch und man weiß, dass auch der untaugliche Versuch strafbar ist. Normalerweise jedenfalls weiß man das.

Und ja, man hätte sich gewünscht, dass den Herren ein wenig auf den Zahn gefühlt worden wäre. Was hätte man sich verdient machen können, indem man ihre Computer nach Kinderpornos durchsucht hätte. Wie naheliegend wäre es gewesen, ihre Handies zu beschlagnahmen um die Chats wieder sichtbar zu machen. Wie angebracht wäre es gewesen, sie zur Beschuldigtenvernehmung vorzuladen anstatt die Verfahren kurzerhand einzustellen.

Wirft der medienhörige Stammtischbruder der Justiz nur allzu gerne vor, auf bestimmten - gerne politischen - Augen blind zu sein, sollte er sein Augenmerk einmal auf Fälle wie diesen richten und danach seine Vorurteile korrigieren.

Die Heranwachsenden unter den Angeklagten wurden zu Jugendstrafen mit Bewährung verurteilt, mein Mandant als einziger Erwachsener zu 3 Jahren und 3 Monaten, wobei die Strafkammer den Haftbefehl außer Vollzug setzte, so dass er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen konnte. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.



2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich schreib jetzt mal lieber nicht, was ich von den 4 (bzw. 3) Zeugen halte.

ABER
- zu welcher Tat nach § 182 StGB soll denn irgendeiner der 4 angesetzt haben, wenn Sie schon 182 Abs. 4 bemühen? Nach Ihrer Schilderung sehe ich allenfalls im Bilder- und Textübersenden an vermeintlich 13jährige einen (untauglichen) Versuch des 176 Abs. 4 Nr.4,und der ist bekanntlich straflos. Das Eintreffen am See, an dem weit und breit noch keine 13jährige zu sehen ist, dürfte für einen Versuchsbeginn (welcher Tat?) ganz und gar nicht ausreichen.
- warum wurden die Zeugen vereidigt? Wenn es Text/Bildnachrichten gab, hatten die Aussagen keine ausschlaggebende Bedeutung. Und aufgrund welcher Tatsachen (Vermutungen reichen nicht) sollte das Gericht davon ausgehen, dass eine wahre Aussage durch die Vereidigung herbeigeführt werden konnte=? Ich halte das für fragwürdig.
- die Angeklagten waren nach meinem Eindruck perfide Kriminelle, die auf Geld aus waren (Geldabhebung am Automaten!); dass sie nur geringe Beute erzielten, war schlichtes Pech. Sie haben ebenso wie die Nigeria-Scammer darauf spekuliert, dass die Opfer aus Angst oder Scham auf Anzeigen verzichten würden (was ja bei NR. 4 auch der Fall war). Mit Robin Hood hat das nur bei kräftigem Biegen und Brechen zu tun. Hätten Sie die Opfer zu verteidigen gehabt, würden Sie als Anwältin vermutlich genau auf dieser Schiene reiten.
Aus welcher politischen Ecke die selbsternannten Kinderschänderaufdecker (oft) stammen, ist ja auch anhand ihrer Slogans bekannt. Und wozu Selbstjustiz (hier: nach gar nicht begangenen Taten) führen kann, war neulich vom LG Freiburg zu entscheiden.

Unknown hat gesagt…

Werte Frau Kollegin,

ich schätze im Allgemeinen Ihren Blog und danke zunächst für den interessanten Beitrag. Mit Ihrer Kritik an der Verfahrenseinstellung gegenüber den 4 verhinderten "Kinderschändern" (untechnisch gesprochen), begeben Sie sich aber leider m.E. auf das Stammtischniveau herab, dass Sie sonst zu Recht kritisieren. Bei kühler juristischer Betrachtung muss man doch - bei aller persönlichen Antipathie für die Gelüste dieser Herren - konstatieren, dass böse Absichten alleine nunmal nicht strafbar sind und auch der strafbare untaugliche Versuch des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen einen Tatentschluss hinsichtlich einer hinreichend konkreten Tat und ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung dieser geplanten Tat erfordert. Hier dürfte es schon am konkreten Tatplan scheitern, da die Täter bei einem Treffen mit einer Internetbekanntschaft wohl kaum (jdf. nicht nachweislich) die Vorstellung gehabt haben dürften, dass man sofort nach dem ersten Zusammentreffen unmittelbar zu sexuellen Handlungen übergeht. Da wäre dann doch neben der grundsätzlichen Frage, ob das Angebot überhaupt echt war, vor Ort noch zu klären, ob die angebliche 13-Jährige den via Internet geweckten Erwartungen entspricht, wie hoch das "Taschengeld" denn ausfallen soll, ob vor Ort eine annehmbare Gelegenheit zu unbeobachteten sexuellen Handlungen besteht und vor allem, ob das Mädchen dazu überhaupt (noch) bereit sein würde (denn unbedingte Vergewaltigungsbereitschaft wird man einem Pädophilen, der einvernehmlichen Sexualkontakt zu Minderjährigen sucht, auch nicht ohne weiteres unterstellen können).
Für den Fall, dass sich ein hinreichend konkreter Tatentschluss anhand der Chatverläufe noch belegen lassen sollte, würde es aber jedenfalls am unmittelbaren Ansetzen fehlen, also eine Eintreten in die kritische Phase des Tatplans, ab der zur Verwirklichung des Plans nach Vorstellung des Täters keine wesentlichen Zwischenschritte mehr erforderlich sind. Bei einer derartigen Erstverabredung wird dafür mindestens erforderlich sein, dass der Täter sein vermeintliches Tatopfer auffindet und sich diesem gegenüber als der Internetkontakt zu erkennen gibt und/oder sexuelle Absichten äußert, denn alles davor ist für sich genommen zunächst mal nur ein Ausflug zu einem harmlosen Waldspaziergang und eindeutig dem straflosen Vorbereitungsstadium zuzuordnen. Auch der Einbrecher setzt zum versuchten Einbruchsdiebstahl ja nicht schon dann an, wenn er mit der Werkzeugkiste zu einem möglichen Tatort fährt, sondern frühestens dann, wenn er mit dem Brecheisen auf ein Fenster zuläuft.

Da nach alledem aus Rechtsgründen offenkundig kein Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung vorlag, durfte selbstverständlich auch nicht allein in der Hoffnung, möglicherweise durch erhoffte Zufallsfunde Anhaltspunkte für gänzlich andere Straftaten zu erlangen, eine Durchsuchung angeordnet werden.