Mittwoch, 29. Juli 2009

Glaubhaftigkeitsgutachten - kurzer Beschluss

In einem Verfahren, in dem meinem Mandanten vorgeworfen wird, er habe seine Kinder vor Jahren missbraucht, hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben und bereits in der Anklageschrift Ausführungen dazu gemacht, weshalb es der Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten in Bezug auf die Aussagen der Kinder, die zu den behaupteten Tatzeitpunkten noch nicht einmal 10 Jahre alt gewesen sein sollen, nicht bedürfe. Unter anderem wurde die fehlende Notwendigkeit damit erklärt, dass die Strafkammer, die den Fall zu entscheiden habe, seit vielen Jahren erfahren sei mit derartigen Prozessen und über die notwendige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfüge. Den beteiligten Schöffen könne die Kammer ihre eigene Sachkunde im Übrigen vermitteln.

So einfach soll das also sein. Die Richter werden schon wissen, wie sie die Aussagen von Kindern zu werten haben und da es für einen Angeklagten in so einem Fall auch nur um mehrjährige Freiheitsstrafen im Falle der Verurteilung geht, soll mal großmütig davon abgesehen werden, Experten zu befragen. Zum Vergleich: in keinem Sorge- und Umgangsrechtsverfahren beim Familiengericht wird ohne Anhörung des Jugendamtes entschieden und oft werden familienpsychologische Gutachten eingeholt. In diesen Verfahren geht es "nur" um elterliche Sorge und Umgang, niemandem droht ein Freiheitsentzug.

In meinem Antrag auf Einholung aussagepsychologischer Gutachten habe ich mich darauf beschränkt, kurz darzulegen, weshalb es sich auch bei einer erfahrenen Strafkammer gebietet, bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit kindlicher Zeugen Expertenrat einzuholen.

Nur wenige Tage später ging mir der kurze Beschluss der Strafkammer zu. Die Richter haben die Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten angeordnet.

Donnerstag, 23. Juli 2009

Lieber nicht

Eine neue Sache bahnte sich an. Der potentielle Mandant gab an, zu Unrecht wegen Schmerzensgeld in Anspruch genommen zu werden. 1000 Euro wolle der Gegner von ihm haben und er wolle jetzt erstmal einen Tipp, wie er sich verhalten solle. Auf die Klage habe er bereits Verteidigungsbereitschaft angezeigt und die Frist zur Klageerwiderung laufe in ein paar Tagen ab.

Er habe auch schon mal 16 (!) Seiten Erwiderung vorbereitet. Nein, die Akte brauchte ich mir nicht anzufordern, er wisse ja, was Sache sei und eigentlich wolle er auch nur deswegen anwaltlich vertreten sein, weil man mit Anwalt vor Gericht ernster genommen werde. Als ich behutsam versuche, ihm zu erklären, dass 16 Seiten Klageerwiderung sicher der Traum eines jeden Amtsrichters sind und man sich sicher auch kürzer fassen könne, erläutert er mir, das gehe nicht und im Grunde solle ja auch nicht ich nochmal 16 Seiten schreiben, sondern einfach seine 16 Seiten mit meinem Briefkopf versehen und dann wegschicken. Das sei ja sicher auch erheblich billiger als die gesetzlichen Gebühren. Dieser Vorschlag stösst bei mir auf Widerstand, was er gar nicht verstehen kann. Die gesetzlichen Gebühren belaufen sich übrigens auf rasante 230 Euro inkl. Mehrwertsteuer bei einer gefühlten Bearbeitungsdauer von 20 Stunden.

Langsam glaube ich, gerade Opfer eines Telefonscherzes zu werden, den man live im Radio mitverfolgen kann, weshalb ich einen Besprechungstermin vorschlage nach vorheriger angemessener Vorschusszahlung. Das wolle er dann lieber nicht, meint der Anrufer und ich atme auf. Noch bevor ich ihm empfehlen kann, einen Kollegen mit seinem Anliegen zu konsultieren, ist der Spuk auch schon vorbei und das Gespräch beendet.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Kleiderordnung

Kürzlich wurde in diversen Blogs heftig darüber diskutiert, ob es sich für einen Anwalt gehört, Krawatte oder Robe zu tragen.

Im Sommer mag es lästig sein, eine Robe zu tragen und wirklich chic ist die Anwaltskluft auch nicht. Eben hatte ich allerdings das zweifelhafte Vergnügen, zu beobachten, wie manche Herrschaften, die nicht Anwälte, sondern Parteien bzw. Zeugen sind, vor einem ländlich gelegenen Amtsgericht auftauchen.
Zugegeben, 28 Grad Celsius ist keine Temperatur, bei der man sich besonders gern in bodenlange Gewänder verhüllt. Dass man aber kaugummikauend mit Badeschlappen, kurzen Hosen und unterhemdsartigen Oberteilen vor Gericht auftaucht und obendrein auch noch eine Alschweißfahne hinter sich herzieht, ist schlichtweg eine Zumutung. Was mich wunderte war der Umstand, dass es die Richterin eher gelassen sah. Ich hätte applaudiert, wenn sie die Herrschaften rausgeschmissen hätte. Vor Jahren habe ich das mal beim Familiengericht erlebt. Damals war der Beklagte in einem fragwürdigen Schwimmbadoutfit erschienen und vom Vorsitzenden nach Hause geschickt worden.

Angesichts derartigen Langmuts von Richtern im Hinblick auf optische und olfaktorishe Zumutungen sollten wir Anwälte uns nicht länger darüber auseinandersetzen, ob wir lieber mit oder lieber ohne Robe auftreten.

Montag, 20. Juli 2009

Belehrung in 14 Sprachen

Eine Staatsanwaltschaft in Baden Württemberg heftet der Vernehmung eines ausländischen Beschuldigten 4 Seiten voran. Darauf enthalten sind Belehrungen in insgesamt 14 Sprachen. Kein schlechter Service.

"Man har upplyst mig om att jag enligt lagen har rätt att yttra mig rörande beskyllningen eller att inte gära nagra uttalanden i saken, och att jad vid varje tillfälle, även redan före mitt förhör, kan radgöra med en av mig själv utsedd försvarsadvocat. Jag har vidare underrättas om att jag kan yrka pa att ensklida bevis framläggs, som kan gagna mig."

Das war Schwedisch.

Donnerstag, 16. Juli 2009

Neu: Pflichtverteidigerbestellung ab Untersuchungshaft

Nach dem vom Bundestag verabschiedeten "Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts" soll nun eine Pflichtverteidigerbestellung schon dann erfolgen, wenn der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen wird.

In einer Pressemitteilung gibt der Deutsche Anwaltverein eine kurze Übersicht zum Meinungsstand wieder.

So sinnvoll und notwendig Verteidigung zu einem sehr frühen Zeitpunkt auch ist, stellt sich mir persönlich die Frage, wie bei der Auswahl der Pflichtverteidiger vorgegangen werden wird. Vielerorts sind es nicht etwa im Strafrecht besonders qulifizierte und/oder erfahrene Kollegen, die von den Gerichten zum Pflichtverteidiger bestellt werden, sondern leider solche, die dafür garantieren, dass das Verfahren zeitlich gestrafft und ohne viele Anträge seitens der Verteidigung abläuft.

Grund genug, für die regionalen und überregionalen Anwaltvereine und die diversen Strafverteidigervereinigungen, möglichst rasch zugunsten ihrer Mitglieder tätig zu werden.

Das Picknick im Auto

In einer Verkehrsunfallsache vertrete ich eine Mandantin, die angeblich ein anderes Auto "geschnitten" haben soll. Der Fahrer des anderen Autos will daraufhin eine Vollbremsung gemacht haben. Seine neben ihm sitzende Gattin, die eine Colaflasche in der Hand gehabt haben will und ein Stück Kuchen auf dem Schoß, sei durch die infolge der Vollbremsung umherspritzende Cola und den umherfliegenden Kuchen von oben bis unten verschmutzt worden und tragischerweise will sie auch noch ein besonders teures Kostüm angehabt haben. Die Colaflasche sei ihr infolge der Vollbremsung aus der Hand geflogen und gegen die Windschutzscheibe, die daraufhin gerissen sei.

Geltend gemacht werden nun die Windschutzscheibe sowie allerlei Auslagen für Reinigung von Auto und Gattin. Das Strafverfahren gegen meine Mandantin wurde übrigens schon im Ermittlungsverfahren eingestellt.

Wenn man als Anwalt einen solchen Sachvortrag eines Klägers liest, beschleicht einen ein komisches Gefühl. Eine Art Picknick im Auto mit Cola und Kuchen, das teure Kostüm und obendrein die Geschichte mit der Windschutzscheibe. Entweder handelt es sich dabei um eine besonders dreiste Darstellung oder aber die abstruse Geschichte stimmt tatsächlich.

Ich tendiere zu der erstgenannten Möglichkeit. Der Ehemann meiner Mandantin, Ingenieur von Beruf, hat berechnet, dass die Colaflasche - den Vortrag des Klägers unterstellt - nicht gegen die Windschutzscheibe geflogen sein kann. Mit diesem Vortrag hat sich nun ein Sachverständiger zu befassen.

Mittwoch, 15. Juli 2009

Hören Sie nicht auf Ihre Verteidigerin

Kürzlich verteidigte ich einen Mandanten bei einem auswärtigen Amtsgericht. Im ersten Termin ging es, nachdem lediglich 1 von 5 Zeugen geladen war, nicht recht vorwärts. Das Angebot des Richters nach 4 Monaten Freiheitsstrafe zur Bewährung (es ging um Körperverletzungsdelikte) hatte mein Mandant auf meinen Rat hin dankend abgelehnt und so musste fortgesetzt werden. Nachdem der Termin zur Fortsetzung bestimmt war, packte ich rasch zusammen, da mir ein anderer Termin im Nacken saß und ich nicht zu spät kommen wollte. Ich verabschiedete mich und eilte davon.

Ich war noch nicht ganz wieder auf der Autobahn als mein Handy klingelte und mein Mandant mir berichtete, dass der Richter ihn nachdem ich weg gewesen sei, angesprochen habe. Er solle es sich nochmal gut überlegen, ob es nicht doch besser sei, sich auf den Deal einzulassen. Als er zu erkennen gegeben habe, dass der Vorschlag für ihn nicht in Frage komme und ich ihm davon abgeraten habe, habe der Richter gesagt "Hören Sie nicht auf Ihre Verteidigerin" und ihm darüber hinaus gesagt, dass nach Aktenlage durchaus noch mehr rauskommen könne.

Mein Mandant hat sich nicht beeindrucken lassen und ich habe überlegt, ob ich einen unaufschiebbaren Antrag gegen den Richter stellen soll. Im Ergebnis habe ich mir und dem Gericht diese Arbeit erspart, auch vor dem Hintergrund, dass die Früchte für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag zeimlich hoch hängen. Mein Mandant wurde übrigens verurteilt - zu einer Geldstrafe.

Montag, 13. Juli 2009

Bulgari - da war es nur noch Einer

Heute Vormittag wurde das Verfahren gegen einen der beiden Angeklagten abgetrennt.
Die verbliebenen Beteiligten, mein Kollege Werner Siebers, unser Mandant und ich lauschten den restlichen Verhandlungstag über TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) und stellten Beweisanträge, über die die Kammer an einem der nächsten Verhandlungstage entscheiden wird.

Freitag, 10. Juli 2009

Knastberatung

Herr X sitzt zwecks Verbüßung eines Urteils A in einer JVA ein. Es gibt neben dem rechtskräftigen Urteil A noch ein Urteil B, das nicht rechtskräftig ist. In Urteil B wurde X zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Demnächst steht die Hauptverhandlung in der Berufungsinstanz bevor und die Chancen stehen nicht schlecht, dass die durch Urteil B verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden wird.

Herr X möchte nun, dass die Berufung zurückgenommen wird, denn er habe sich in der JVA mit einem Mithäftling unterhalten, der gesagt habe, dass er die Freiheitsstrafe aus Urteil B nicht würde verbüßen müssen und dass das auch ohne Berufung gehe. Wie das gehen soll, wird bedauerlicherweise nicht mitgeteilt.

Sicher, in der JVA haben die meisten Insassen mehr Zeit als in Freiheit und damit auch mehr Zeit, sich fortzubilden. Grundsätzlich sind Fortbildungsmaßnahmen ja zu begrüßen, aber der ein oder andere wird den halbgaren Tipp eines Zellengenossen im Nachhinein schon verflucht haben.

Mittwoch, 8. Juli 2009

Über die Freude, einen Polizisten zu treffen

Es ist manchmal kurios, wen man bei Gericht alles wiedertrifft. Vor einigen Jahren hatte es einem meiner ehemaligen Lehrer, der Schöffe bei einer Jugendstrafkammer war, beinahe die Sprache verschlagen, als er ausgerechnet mich als Verteidigerin dort antraf. Meine gute Laune war übrigens auch dahin als ich ihn sah. Wir beide hatten eben keine erfreulichen Erinnerungen aneinander und ich habe, ich gebe es zu, nur darauf gelauert, dass er einen Pieps von sich gibt, der mich in die Lage versetzt hätte, ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Leider tat er mir diesen Gefallen nicht und auch ansonsten fügte er sich nahtlos in das Bild ein, was ich seit jeher von ihm hatte und das ich an dieser Stelle nicht vertiefen möchte.

Es gibt jedoch nicht nur unerfreuliche Treffen.

Heute beim Amtsgericht M. wartete ich auf dem Flur auf den Beginn der Hauptverhandlung gegen meinen Mandanten. Es waren u.a. zwei Polizeibeamte geladen. Nun ist es so, dass ich mir einbilde, Polizeibeamte auch in Zivil recht gut ausmachen zu können und trotz meines schlechten Gesichtergedächtnisses kam mir einer der Beamten bekannt vor. Ein Blättern in der Akte nach seinem Vornamen bestätigte mir, dass er einem Mann sehr ähnlich sieht, den ich nur noch als maximal 15-jährigen in Erinnerung hatte. Wir wohnten im selben Ort, seine Schwester war meine Schulfreundin und für ihn hab ich als 9-jährige mal geschwärmt.

Der Polizeibeamte sah dem besagten Mann nicht nur ähnlich, er war es tatsächlich. Dementspechend herzlich fiel die Begrüßung aus und die Freude über das unverhoffte Wiedersehen war echt.

Merke: auch Verteidiger können sich manchmal sehr darüber freuen, einen Polizisten anzutreffen.

Haushaltshilfe für 8 Euro brutto?!

In einer Zivilsache (es geht um einen Unfall, bei dem meine Mandantin verletzt wurde) klage ich u.a. den meiner Partei entstandenen Haushaltsführungsschaden ein und berechne diesen unter Beachtung einer unter Juristen bekannten Tabelle.

Die Gegenseite, eine namhafte Versicherung, wendet ein, dass man Haushaltshilfen regelmäßig für brutto 8 Euro anstellen könne. Ich konnte mit nicht verkneifen, zurück zu schreiben, dass ich um Mitteilung der Adressen der in Frage kommenden Personen bitte.

Vielleicht spreche ich die falschen Personen auf meiner Suche nach einer Haushaltshilfe an, aber 8 Euro brutto?! Liebe X-Versicherung: die meisten potentiellen Haushaltshilfen wollen nicht unter 10 Euro arbeiten - netto wohlgemerkt. Und wehe, man möchte sie anmelden. Dann erntet man Blicke als hätte man sie gebeten, nackt zu putzen.

Dienstag, 7. Juli 2009

Anklagen, die die Welt nicht braucht

Es gibt Fälle, in denen man sich fragt, ob es denn tatsächlich nötig gewesen wäre, sie anzuklagen.
In dem Fall, in dem ich heute verteidigt habe, stellte sich mir genau diese Frage.

Mein psychisch kranker Mandant war in einem Geschäft von einem Detektiv beobachtet worden, wie er mit CDs, von denen er das Sicherungsetikett entfernt hatte, umherging. Eingesteckt hatte er die CDs (Wert ca. 70 Euro) nicht.

Der Detektiv sah hierin (Parallelwertung in der Laiensphäre) einen vollendeten Ladendiebstahl, nicht so der Polizeikommissar, der den Abschlussvermerk schrieb und zutreffend von einem Diebstahlsversuch ausging.
Der mit der Sache befasst Staatsanwalt klagt meinen Mandanten an und schliesst sich der Mindermeinung des Detektivs (vollendeter Diebstahl) an. Das Amtsgericht gab angesichts der Erkrankung meines Mandanten zunächst ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit in Auftrag. Der Psychiater gelangte zu dem Ergebnis, dass mein Mandant zum Zeitpunkt der Tatbegehung eingeschränkt schuldfähig war. Spätestens hier wäre die Sache meines Erachtens einstellungsreif gewesen. Ein versuchter Diebstahl, begangen im Stadium der eingeschränkten Schuldfähigkeit - welche Sanktion soll dabei herauskommen?

Im Zuge der Hauptverhandlung ging der vorsitzende Richter behutsam mit meinem geständigen Mandanten ins Gericht. Er liess sich berichten, wie er in einer Einrichtung für betreutes Wohnen lebt, welchen Tätigkeiten er dort nachgeht und gab ihm mit auf den Weg, dass er besonders gut darauf achten müsse, dass man ihm nicht etwas zu Unrecht in die Schuhe schiebe.

Er regte an, das Verfahren nach § 153 II StPO einzustellen. So geschah es. Das glückliche Ende einer Bagatelle.

Freitag, 3. Juli 2009

ESO 1.0 - das Gutachten

Ich hatte vor einiger Zeit über ein Ordnungswidrigkeitenverfahren berichtet, in dem mein Mandant freigesprochen worden war.

Im Nachgang zu meinem Blogeintrag über das Verfahren erreichten mich viele Anfragen von Kollegen, Betroffenen und sogar Personen, die Schulungen von Messbeamten vornehmen. Da es den Rahmen sprengen würde, alle Anfragen zu beantworten, gebe ich das Gutachten des Sachverständigen, das mir inzwischen vorliegt, zusammengefasst wie folgt wieder:

"Für den Messlogarithmus der im vorliegenden Fall eingesetzten Anlage (...) ist zu berücksichtigen, dass in Abhängigkeit der verwendeten Fotoregistriereinrichtung eine bestimmte Wegstrecke zwischen Messlinie und Fotopunkt vorliegen muss. (...) Werden die Bilder entsprechend ausgewertet, ist dies (...) für das Fahrzeug des Betroffenen nicht festzustellen. Aus technischer Sicht ist zwar bekannt, das insbesondere bei Dunkelheit durch die vorderen Scheinwerfer eines Fahrzeuges eine vergleichsweise frühe Auslösung der Fotoregistriereinrichtung erfolgt, diese ist jedoch in dieser Weise weder in der Bedienungsanleitung in dieser Form noch im Rahmen der Bauzulassung durch die PTB so bestätigt."

Ich werde das freisprechende Urteil demnächst veröffentlichen und die Quelle hier bekanntgeben.

Donnerstag, 2. Juli 2009

Sonnenstich - die Frau im Navi und die Fähre

Das Amtsgericht Rüdesheim, bei dem zu verhandeln ich heute das Vergnügen hatte, liegt beschaulich in dem Städtchen mit der Drosselgasse in der Gerichtsstraße. Man erreicht es von Koblenz aus über die A61 oder die B42. Wählt man erstere Strecke, muss man in Bingen die Autofähre nehmen nach Rüdesheim. So geschehen. Angekommen in Rüdesheim begann mein Navigationsgerät, mich im Kreis zu leiten und wollte mich wieder auf die Fähre schicken. Der Termin rückte näher.

Nachdem ich absehen konnte, dass ich mich verspäten würde (ich hasse Verspätungen), versuchte ich ca. zwei Dutzend mal vergeblich, beim Amtsgericht irgendjemanden zu erreichen. Erfolglos. Geschäftsstelle unbesetzt, Zentrale dito, Handy des Mandanten, der sicher schon nervös auf dem Flur wartete, ausgeschaltet.

Nachdem Telefonieren nicht der Schlüssel zum Glück war, entschloss ich mich, meine Suche nach dem Gericht zu beschleunigen und Passanten nach dem Weg zu fragen, derweil ich mit dem Gedanken spielte, die Frau im Navi, die nicht müde würde, mich auf die Fähre zurücklotsen zu wollen, kurzerhand im Rhein zu versenken.

Da es Sommer ist und Rüdesheim vor Touristen nur so wimmelt, kann man froh sein, wenn man bei der Suche nach dem Weg spontan einen Landsmann erwischt. Japaner sind phänotypisch rasch erkannt und auch Engländer bilde ich mir ein, erkennen zu können. Der deutsche Tourist trägt meist Ledersandalen und Socken zur im Übrigen schlecht sitzenden halblangen Hose, aus der blasse Beinchen hervorstechen. Also sprach ich nur Männer (Frauen nach dem Weg zu fragen ist Zeitverschwendung, es sei denn man will im Ergebnis nicht zielführende Sätze hören wie: "Und dann fahren Sie an der Ecke, wo vor zwei Jahren die Katze von Frau Schmitz überfahren wurde, rechts hoch") mit langen Hosen an. Die ersten vier Herren stammten dem Dialekt nach aus Bayern, Thüringen und Sachsen und hätten mir zwar bestimmt sagen können, wo es den besten Rüdesheimer Kaffee gibt, nicht aber, wie ich zum Amtsgericht finde. Im fünften Anlauf hatte ich Glück: ein Einheimischer - der den Weg nicht kannte, das nicht zugeben wollte und mir daher eine Art Rundfahrt durch Rüdesheim verschaffte. Drei Passanten später traf ich an einem Kiosk den nächsten Einheimischen, der zwar betrunken war, aber nüchtern genug um mir den richtigen Weg zu weisen.

Ich kam exakt zwei Minuten zu spät, nachdem ich einen schattigen Parkplatz im Halteverbot ergattert hatte.

Bevor ich ein Navigationsgerät hatte, fuhr ich immer nach einem Plan, den ich mir zuvor von einem der Routenfinder ausgedruckt hatte. Ich fand es immer lästig, nach Plan und mit selbigem in der Hand, zu fahren. Bis heute.
Im Büro zurück gibt es eine neue Arbeitsanweisung: ab sofort werden nicht nur Terminszettel ausgedruckt, sondern auch wieder Zettel mit Routen zum Zielort falls die Frau im Navi mal wieder einen Sonnenstich hat.

Mittwoch, 1. Juli 2009

Entnervt

Heute Morgen beim Schöffengericht: angeklagt sind zwei aus Schwarzafrika stammende Männer, denen das Einschleusen von Ausländern vorgeworfen wird. Beide sprechen nur mäßig deutsch, aber gut englisch, weshalb ein öffentlich bestellter und allgemein vereidigter Dolmetscher für die englische Sprache vor Ort ist.
Nun soll man meinen, dass so jemand in der Lage ist, simultan zu übersetzen. Dem war nicht so. Das Deutsch des Dolmetschers war nicht gut, dafür sein Englisch umso mäßiger. Hätte ihm die Anklageschift nicht in übersetzter Form vorgelegen, würden wir wahrscheinlich jetzt noch in Saal 108 sitzen und seiner Übersetzung lauschen.

Er bekommt das mit dem Vorlesen der Anklage in englischer Sprache noch eben so hin und mir schwant schon, dass seine Übersetzungen weder strafprozessual so vorgesehen noch von den Beteiligten geduldet werden kann. Als dann der Vorsitzende die Angeklagten belehrt und der Dolmetscher dies übersetzen soll, gehts erst recht los: der Dolmetscher radebrecht nur die Hälfte dessen, was der Vorsitzende gesagt hat und vergisst die Stelle zu übersetzen, in der es heisst, dass die Angeklagten auch das Recht haben, zu schweigen.
Protest seitens der Verteidigung, der Oberstaatsanwalt wirkt irritiert, der Vorsitzende runzelt die Stirn und kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass er solche Probleme mit Dolmetschern noch nicht erlebt habe.

Um die Verhandlung nicht platzen zu lassen, beschliesst man, es zunächst weiter mit ihm zu versuchen.

Das Klassenziel aber ist erreicht als er während der Einlassung des Mitangeklagten zur Sache ein Gespräch zwischen Verteidiger und Staatsanwalt u.a. darüber, dass die vor der Tür wartende Zeugin die Wahrheit zu sagen hätte, damit übersetzt, dass er dem Angeklagten sagt, ER, also der Angeklagte, müsse vor Gericht die Wahrheit sagen.

Ein Missverständnis, sicher, aber dass es aufgedeckt wurde, ist allein dem Umstand zu verdanken, dass nahezu alle Verfahrensbeteiligten englisch verstehen und sprechen können. Wenn man sich überlegt, wie oft man in Verfahren sitzt, in denen man selbst und auch sonst kein Verfahrensbeteiligter - mit Ausnahme der Angeklagten freilich - die Sprache versteht, für die ein Dolmetscher geladen ist, kommt man ins Grübeln. Bevor man Dolmetscher in Gerichtssäle lässt, sollten sie meines Erachtens zumindest eine Art Crashkurs "Verfahrensrecht" absolviert haben, damit derartige Patzer von vorneherein ausgeschlossen sind. Dann wäre diesem Dolmetscher zumindest aufgefallen, dass das, was er meint verstanden zu haben, nicht zutreffend sein kann und er hätte zumindest nachfragen können.

Souverän beendete der Vorsitzende das Dolmetscherdebakel. Die Sache wurde ausgesetzt und es geht zu einem anderen Zeitpunkt mit einem anderen Dolmetscher weiter.