Donnerstag, 23. Mai 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 14. bis 17. Hauptverhandlungstag

Die zurückliegenden vier Hauptverhandlungstage waren geprägt von Zeugenvernehmungen, die wenig Erhellendes zutage förderten.

Zwei ehemalige Angeklagte waren zu einem Anklagevorwurf vernommen worden, der einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetzt aus dem Jahr 2011 zum Gegenstand hat. Wie kaum anders zu erwarten war, war es um die Erinnerung angesichts der vergangenen 8 Jahre nicht zum Besten bestellt.

Sodann waren Polizeibeamte vernommen worden, die die Vernehmungen mit den in den Wochen zuvor einvernommenen Zeugen durchgeführt hatten. Hierbei stellte sich heraus, dass die Vernehmungsprotokolle keine Wortprotokolle waren, sondern die Antworten auf die Fragen der Beamten eine Art Zusammenfassung ihres wesentlichen Inhalts durch die Vernehmungsbeamten darstellten. Dies ist leider nicht unüblich. Man muss kein Jurist sein um zu wissen, dass das gesprochene Wort anders klingt als sein zusammengefasster Inhalt in Schriftform. 

Nehmen wir einmal folgenden, simplen Satz: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass Wilhelm Brause dabei war". Theoretisch kann dieser Satz genau so gefallen sein. Praktisch kann es anders gewesen sein, im Wortlaut etwa so: "Hm. Ob der Wilhelm Brause dabei war? Weiß ich jetzt grad gar nicht. (Zeuge überlegt) Der war eigentlich immer dabei, wenn es was zu Saufen gab. Ich glaub, der hatte zu der Zeit auch Stress mit seiner Alten... da wird er froh gewesen sein, mal rauszukommen... (Pause) Doch, das macht schon Sinn. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass der dabei war."  

Sollte nur der Satz "Ich bin mir ziemlich sicher, dass Wilhelm Brause dabei war" protokolliert worden sein, ist das nicht falsch, aber es entbehrt der Vollständigkeit, weil die Entwicklung der Aussage nicht nachvollziehbar ist. Wäre sie protokolliert worden, dann wäre klar, dass der Zeuge Rückschlüsse gezogen hat, Informationen rund um Wilhelm Brause logisch zusammengesetzt hat, sich aber gerade nicht konkret daran erinnert, ob Wilhelm Brause nun dabei war oder nicht.

Es gibt keine Vorschrift, dass ganze Aussagen von Zeugen im Wortlaut zu protokollieren oder gar aufzuzeichnen sind mit der Folge, dass Prozesse vielfach hieran kranken. Ein erfahrener Verteidiger wird - sofern Richter und Staatsanwalt, die zuerst das Fragerecht haben, dies nicht bereits getan haben - den Zeugen, der sich "ziemlich sicher" ist, dazu befragen, woran er seine Sicherheit festmacht. Macht der Verteidiger seine Arbeit gut, wird er genau Dasjenige herausarbeiten, was der Zeuge tatsächlich gesagt hat. Er wird nicht nur um das Wissen um den Krach zwischen Wilhelm Brause und seiner Gattin bereichert werden, sondern auch noch allerlei über dessen Trinkgewohnheiten und Konfliktvermeidungsstrategien erfahren haben, bevor er dann festhalten darf, dass der Zeuge sich gerade nicht sicher ist und nicht sicher sein kann, dass Wilhelm Brause zugegen war.

Sind die Prozessbeteiligten weniger erfahren und/oder motiviert und hinterfragen die Aussage nicht, dann erstarkt die "ziemliche" Sicherheit des Zeugen im Urteil zu einer Überzeugung des Gerichts, wonach Wilhelm Brause zugegen war mit allen sich hieraus ergebenden Konsequenzen, seien sie für den Angeklagten nun positiv oder negativ.

Mir persönlich schwillt immer der Kamm, wenn ich in der Presse lese, Verteidiger hätten die Zeugen stundenlang befragt, sie gleichsam gequält mit der Folge, dass der Zeuge sich sicher wie auf der Anklagebank gefühlt habe. Viele Fragen könnte man sich sparen, wenn nicht bloß Inhaltsprotokolle von Aussagen angefertigt würden, sondern Wortprotokolle. Solange es aber keine Wortprotokolle von Aussagen gibt, werden Aussagen zu hinterfragen sein. Ein Verteidiger, der Aussagen nicht in Zweifel zieht, kommt seiner Aufgabe nicht nach.

Zurück zum Verfahren. Die Staatsschutzkammer hat die Aussagen der früheren Angeklagten, die sich zum Teil nicht oder nur eingeschränkt erinnern konnten, nach § 253 StPO verlesen mit dem Ziel, dass das Gedächtnis aufgefrischt werden sollte. Das Ziel konnte nicht erreicht werden.

Bleibt noch, mitzuteilen, dass der Prozess in dieser Woche sehr zügig voranschritt. Thematisch ging es um den Vorwurf von Graffitischmierereien an diversen Schulen im Bereich Bonn aus dem Jahr 2011. An zwei Hauptverhandlungstagen waren hierzu insgesamt 7 Polizeibeamte vernommen worden. Es dürfte sich dabei um einen Rekord handeln. Nie zuvor waren derart viele Zeugen in so kurzer Zeit vernommen worden. Der Grund dafür ist denkbar einfach: die Polizeibeamten erinnerten sich nicht an ihre 8 Jahre zurückliegenden Einsätze, was mit Blick auf das vorgeworfene Delikt, eine Sachbeschädigung, wie sie Polizeibeamten dutzendfach aufnehmen, nicht weiter verwundert.

Die Hauptverhandlung wird kommenden Dienstag fortgesetzt.

Mittwoch, 8. Mai 2019

Aktionsbüro Mittelrhein #3 - 13. Hauptverhandlungstag - Abtrennung und Aussetzung

Am gestrigen 13. Hauptverhandlungstag fehlte zu Beginn der Verhandlung ein Angeklagter, der regelmäßig aus der Schweiz anreiste. Zunächst hatte er in Süddeutschland eine Autopanne, bevor er dann mit einem eilig gebuchten Mietwagen in der Höhe von Stuttgart in einem Stau stand. In Koblenz wäre er daher erst um die Mittagszeit herum gewesen.

Das Gericht trennte das gegen diesen Angeklagten gerichtete Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ab. In der Begründung lautete es, diese Vorgehensweise sei prozessökonomisch. Die Verteidigung hatte der Abtrennung widersprochen unter Hinweis darauf, dass ein weiterer Prozess mit umfangreicher Beweisaufnahme keinesfalls ökonomischer sei als ein Zuwarten von drei Stunden bis zum Eintreffen des Angeklagten. Auch in Anbetracht des Vorwurfs der kriminellen Vereinigung sei eine Abtrennung untunlich.

Die Kammer verfügte nach erfolgter Abtrennung, dass das Verfahren gegen den abgetrennten Angeklagten am Folgetag, also heute, fortgesetzt werde, nachdem der für heute anberaumte Termin bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgehoben worden war und somit wieder zur Verfügung stand. 

Zu einem solch schnellen Prozess gegen den abgetrennten Angeklagten kam es jedoch nicht. Die Strafprozessordnung sieht für Angeklagte eine Ladungsfrist von mindestens einer Woche vor, § 217 StPO. Durch die mündliche Ladung im gestrigen Termin, in dem nur die Verteidigerin des Angeklagten anwesend war, ist der Angeklagte damit nicht ordnungsgemäß geladen und musste daher am heutigen Tag nicht erscheinen. 

Die rechtlich zutreffende Folge hiervon ist, dass das Verfahren gegen den abgetrennten Angeklagten ausgesetzt werden muss. Es wird zu einem späteren Zeitpunkt, den die Kammer zu bestimmen haben wird, wieder aufgerufen werden und wird dann von vorne beginnen, nachdem Erkenntnisse aus dem noch laufenden Verfahren nicht "importiert" werden dürfen. Mit anderen Worten: soweit die Beweisaufnahme im laufenden Verfahren bereits erfolgt ist, muss sie im abgetrennten Verfahren wiederholt werden.  

Gegen die verbleibenden 11 Angeklagten wurde das Verfahren fortgesetzt durch Vernehmung zweier ehemaliger Angeklagter, die zu einem Anklagepunkt (Verstoß gegen das Versammlungsgesetz im Jahre 2011) vernommen wurden. Durch den langen Zeitablauf konnten Erinnerungen nur noch in begrenztem Umfang abgerufen werden und selbst nach Verlesung der Aussagen, die die Angeklagten seinerzeit bei den Ermittlungsbehörden gemacht hatten, blieben die Erinnerungen vage. 

Das Verfahren wird kommende Woche Dienstag fortgesetzt.