Samstag, 11. September 2021

Wie läuft´s denn so in Stuttgart?

Diese Frage stellt man mir seit April diesen Jahres häufiger. Der jeweilige Fragensteller möchte damit wissen, ob ich es schon bereut habe, die Verteidigung eines Angeklagten in einem Umfangsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart übernommen zu haben, dem die Generalbundesanwaltschaft zusammen mit 11 weiteren Männern die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwirft.

Um es vorweg zu nehmen: nein, ich habe es nicht bereut und das hat verschiedene Gründe.

Zunächst einmal ist es so, dass man nicht alle Tage in einem Terrorismusverfahren vor einem OLG-Senat verteidigen darf. Häufig sind die Angeklagten in solchen Verfahren einem anderen Geschlecht und einer anderen Religion als ich zugehörig, was mich von vorneherein auf der Liste der möglichen Verteidiger ganz weit nach hinten katapultiert. Mit derlei Ausschlusskriterien hat man in diesem Verfahren, in dem ausschließlich Deutsche angeklagt sind, als Frau nicht zu kämpfen und so sind wir immerhin 4 von 24 Verteidigern.

Weiter ist es bei einem OLG-Senat ein gutes Stück formaler als beim Amtsgericht um die Ecke, was die juristische Arbeit deutlich in den Vordergrund rückt und allen Beteiligten eine Art unaufgeregte Disziplin auferlegt, wie man sie sich manchmal in Verfahren vor Amts- und Landgerichten wünscht.

In dem Verfahren, das in der Presse schlagwortartig als "Gruppe S. Prozess" benannt ist, soll geklärt werden, ob die 12 Angeklagten sich zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden u.a. durch geplante Anschläge auf Moscheen und Politiker.

Die Anklage stützt sich in weiten Teilen auf die Angaben eines Angeklagten, der eine Zwitterrolle einnimmt. Er hatte die Ermittlungsbehörden mit Informationen versorgt, deren Wahrheitsgehalt einer kleinschrittigen Überprüfung bedarf und ist somit untechnisch gesprochen Angeklagter und Zeuge in Personalunion. Der heute 49jährige kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken, das örtlich betrachtet über eine lange Distanz statisch verlief, befand er sich doch annähernd 21 Jahre in amtlicher Obhut, abwechselnd in Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsanstalten. Derzeit ist ein psychiatrischer Sachverständiger damit befasst, ihn zu explorieren.

Daneben werden gigabyteweise Telekommunikationsüberwachungen eingeführt, was keinesfalls vergnügungssteuerpflichtig ist, vor allem dann nicht, wenn die Überwachten vor Betätigung der Tastatur dem Alkohol zugesprochen haben und man in weiten Teilen allerlei Dinge erfährt, die man am Liebsten gar nicht hören mag, angefangen bei cellulitär bedingten Eheproblemen über Wallhall´sche Zutrittsvoraussetzungen bis hin zu Ausführungen über Chemtrails mit Aluminiumbarium. 

Trotz derlei Perlen verstörender Kommunikation verläuft das Verfahren in jeder Hinsicht diszipliniert. Wir tragen brav Masken und manchmal frage ich mich, ob es wohl auffallen würde, wenn ein Prozessbeteiligter ein ihm leidlich ähnlich sehendes Double schicken würde. Coronabedingt wurde uns Verteidigern ein Zelt zur Verfügung gestellt, da der Aufenthalt im Stammheimer Prozessgebäude in den Pausen untersagt ist. Besagtes Zelt ist eine Art Bierzelt. Es ist außen weiß und drin steht für jeden Verteidiger ein Tischchen und ein Stühlchen, letzteres ohne Husse wie man sie von Hochzeiten kennt, die auch gerne mal in solchen Zelten stattfinden. Zu dem von der Justiz zur Verfügung gestellten Kühlschrank und der Kaffeepadmaschine haben sich zwischenzeitlich ein Kaffeevollautomat und ein Drucker der Verteidigung gesellt, damit in den Pausen bei einem Tässchen Bohnenkaffee mal rasch ein Beweisantrag ausgedruckt werden kann. Anstelle von "rasch" sagt man in Stuttgart übrigens "g´schwind" und das sogar dann, wenn es gar nicht wirklich eilig ist, weshalb ich auch schon einige Male g´schwind g´wartet hab. Überhaupt versetzt mich die Sprache dort in eine von Pferdle und Äffle geprägte unterschichtsferne TV-Kindheit zurück und nach einem knappen halben Jahr habe ich den Ehrgeiz, bis zum Ende des Verfahrens, das noch in weiter Ferne liegt, das sympathische Schwäbisch zumindest halbwegs zu beherrschen.

Nicht verhehlen möchte ich, dass es natürlich Freude bereitet, jede Woche mit ebenso kompetenten wie liebgewonnenen Kollegen gemeinsam zu verhandeln. Einige kenne ich schon seit Jahrzehnten, habe etliche Verhandlungstage mit ihnen zusammen verteidigt in Gerichtssälen quer durch´s Land und andere lerne ich gerade im Ländle kennen und schätzen. 

Es läuft also in Stuttgart.



  

Montag, 8. März 2021

Coronare Verteidigung

Kürzlich fragte mich ein Bekannter, wie denn Strafverteidigung in Pandemiezeiten so funktioniere.

Soviel vorweg - es funktioniert. Irgendwie. Die konkrete Ausgestaltung dieses "Wie" ist uneinheitlich.

Viele Gerichte heben Termine in nicht eilbedürftigen Sachen von Amts wegen auf, andere, wie beispielsweise das Amts- und Landgericht Koblenz lassen Termine auch in Nichthaftsachen bestehen. Die Gerichte treffen Vorkehrungen in Gestalt von Plexiglasscheiben, geöffneten Fenstern und Ventilatoren, die das subjektive Sicherheitsgefühl stärken bei ansonsten für mich unklarer objektiver Präventivwirkung und es gibt bei jedem Gericht Einlasskontrollen. Die Richter gehen unterschiedlich mit der Situation um. Manche sitzen mit FFP2-Maske hinter der Plexiglasscheibe, andere verhandeln ohne Masken in größeren Sälen mit reichlich Abstand zu den übrigen Prozessbeteiligten. Als Verteidiger steht es einem in der Regel frei, sowohl mit Maske als auch mit Winterjacke oder Heizweste unter der Robe zu verhandeln. Alles in Allem lässt man Vorsicht walten.

Dennoch gibt es Ausreißer. Ein Beispiel von herausragender Unbekümmertheit begegnete mir kurz von Lockdown Nr. 2 bei einem Jugendschöffengericht. Mein Mandant war angeklagt wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung und gefährlicher Körperverletzung. Der Vorfall sollte sich vor drei Jahren ereignet haben. Der geneigte Leser erkennt: keine Haftsache, ergo keine Eilbedürftigkeit. Die Richterin hatte zunächst drei Hauptverhandlungstage angesetzt um das Geschehen aufzuklären. Gleich am ersten Tag staunte ich bereits ob der Größe des Sitzungssaales, der für Einzelrichtersachen tauglich war, ganz gewiss aber nicht für Schöffensachen. Zu Beginn der Hauptverhandlung hielten sich insgesamt 11 Personen im Saal auf (Richterin, 2 Schöffen, Protokollführer, Staatsanwalt, Vertreter der Jugendgerichtshilfe, Verteidigung, Angeklagter, drei Zuschauer), womit es recht kuschelig war. Immerhin hatten mein Mandant und ich den Fensterplatz erwischt; die Maske behielt ich auf.

Eingangs der Verhandlung verkündete die zu diesem Zeitpunkt noch gut gelaunte Vorsitzende, der Zeuge A. könne heute nicht erscheinen, er habe "Fieber und so" und das Ergebnis des Coronatests sei frühestens am Folgetag zu erwarten. Seine Lebensgefährtin, die ebenfalls für heute geladen sei, bringe praktischerweise das ihren Liebsten betreffende ärztliche Attest für ihre auf 11 Uhr angesetzte Vernehmung mit. Falls einer der Anwesenden bis dahin noch ein wenig schläfrig war, wachte er durch das sich anschließende Wortgefecht zwischen der Vorsitzenden und mir auf. Mein Einwand, dass ich nicht bereit sei, mit einer Person in einem Raum zu sein, deren Lebenspartner Symptome einer Infektion aufweise, die ich mir ungern einfangen würde, wurde mit einem schnippischen "Wir wissen doch gar nicht, ob er Corona hat. Das Testergebnis ist doch noch gar nicht da!", quittiert.

Ich denke, sie erwartete kein "Ach so, nee, ist klar, dann können wir ja loslegen", jedenfalls war sie von meinem Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Vorbereitung eines Antrages nicht überrascht und gab dem Antrag statt.

Bevor ich zum Füller griff, griff ich erstmal zum Handy und rief die Wachtmeisterei an. Dem freundlichen Justizwachtmeister sagte ich, dass gegen 11 Uhr die Zeugin B. komme, deren Lebensgefährte unter Coronaverdacht stünde. Vielleicht sei dies ja für den ein oder anderen seiner Kollegen am Eingang von Interesse, die die Dame ja kontrollieren würden. 

Was danach passierte, kann ich nur mutmaßen. Denkbar scheint, dass der Wachtmeister die Information weitergegeben hat an Personen, denen die Nonchalance mit dem Virus ebenso abgeht wie mir. Vielleicht haben auch die Schöffen Bedenken angemeldet, ich habe es nie erfahren. Noch während ich dabei war, meinen Antrag zu formulieren, erschien die Vorsitzende und verkündete, sie habe die Zeugin abgeladen und werde sie zu einem der anderen Termine erneut laden. Sie selbst habe zwar keine Bedenken wegen Corona, aber - genervte Tonlage - bitte sehr. Danke sehr für so viel Einsicht an einem noch jungen Morgen.

Das Verhandlungsklima im Folgenden unterschritt die von draußen hereinsträmende winterliche Luft, das Ergebnis hingegen erwärmte das Gemüt. Das Verfahren gegen meinen Mandanten wurde eingestellt.