Diese Frage stellt man mir seit April diesen Jahres häufiger. Der jeweilige Fragensteller möchte damit wissen, ob ich es schon bereut habe, die Verteidigung eines Angeklagten in einem Umfangsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart übernommen zu haben, dem die Generalbundesanwaltschaft zusammen mit 11 weiteren Männern die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwirft.
Um es vorweg zu nehmen: nein, ich habe es nicht bereut und das hat verschiedene Gründe.
Zunächst einmal ist es so, dass man nicht alle Tage in einem Terrorismusverfahren vor einem OLG-Senat verteidigen darf. Häufig sind die Angeklagten in solchen Verfahren einem anderen Geschlecht und einer anderen Religion als ich zugehörig, was mich von vorneherein auf der Liste der möglichen Verteidiger ganz weit nach hinten katapultiert. Mit derlei Ausschlusskriterien hat man in diesem Verfahren, in dem ausschließlich Deutsche angeklagt sind, als Frau nicht zu kämpfen und so sind wir immerhin 4 von 24 Verteidigern.
Weiter ist es bei einem OLG-Senat ein gutes Stück formaler als beim Amtsgericht um die Ecke, was die juristische Arbeit deutlich in den Vordergrund rückt und allen Beteiligten eine Art unaufgeregte Disziplin auferlegt, wie man sie sich manchmal in Verfahren vor Amts- und Landgerichten wünscht.
In dem Verfahren, das in der Presse schlagwortartig als "Gruppe S. Prozess" benannt ist, soll geklärt werden, ob die 12 Angeklagten sich zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden u.a. durch geplante Anschläge auf Moscheen und Politiker.
Die Anklage stützt sich in weiten Teilen auf die Angaben eines Angeklagten, der eine Zwitterrolle einnimmt. Er hatte die Ermittlungsbehörden mit Informationen versorgt, deren Wahrheitsgehalt einer kleinschrittigen Überprüfung bedarf und ist somit untechnisch gesprochen Angeklagter und Zeuge in Personalunion. Der heute 49jährige kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken, das örtlich betrachtet über eine lange Distanz statisch verlief, befand er sich doch annähernd 21 Jahre in amtlicher Obhut, abwechselnd in Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsanstalten. Derzeit ist ein psychiatrischer Sachverständiger damit befasst, ihn zu explorieren.
Daneben werden gigabyteweise Telekommunikationsüberwachungen eingeführt, was keinesfalls vergnügungssteuerpflichtig ist, vor allem dann nicht, wenn die Überwachten vor Betätigung der Tastatur dem Alkohol zugesprochen haben und man in weiten Teilen allerlei Dinge erfährt, die man am Liebsten gar nicht hören mag, angefangen bei cellulitär bedingten Eheproblemen über Wallhall´sche Zutrittsvoraussetzungen bis hin zu Ausführungen über Chemtrails mit Aluminiumbarium.
Trotz derlei Perlen verstörender Kommunikation verläuft das Verfahren in jeder Hinsicht diszipliniert. Wir tragen brav Masken und manchmal frage ich mich, ob es wohl auffallen würde, wenn ein Prozessbeteiligter ein ihm leidlich ähnlich sehendes Double schicken würde. Coronabedingt wurde uns Verteidigern ein Zelt zur Verfügung gestellt, da der Aufenthalt im Stammheimer Prozessgebäude in den Pausen untersagt ist. Besagtes Zelt ist eine Art Bierzelt. Es ist außen weiß und drin steht für jeden Verteidiger ein Tischchen und ein Stühlchen, letzteres ohne Husse wie man sie von Hochzeiten kennt, die auch gerne mal in solchen Zelten stattfinden. Zu dem von der Justiz zur Verfügung gestellten Kühlschrank und der Kaffeepadmaschine haben sich zwischenzeitlich ein Kaffeevollautomat und ein Drucker der Verteidigung gesellt, damit in den Pausen bei einem Tässchen Bohnenkaffee mal rasch ein Beweisantrag ausgedruckt werden kann. Anstelle von "rasch" sagt man in Stuttgart übrigens "g´schwind" und das sogar dann, wenn es gar nicht wirklich eilig ist, weshalb ich auch schon einige Male g´schwind g´wartet hab. Überhaupt versetzt mich die Sprache dort in eine von Pferdle und Äffle geprägte unterschichtsferne TV-Kindheit zurück und nach einem knappen halben Jahr habe ich den Ehrgeiz, bis zum Ende des Verfahrens, das noch in weiter Ferne liegt, das sympathische Schwäbisch zumindest halbwegs zu beherrschen.
Nicht verhehlen möchte ich, dass es natürlich Freude bereitet, jede Woche mit ebenso kompetenten wie liebgewonnenen Kollegen gemeinsam zu verhandeln. Einige kenne ich schon seit Jahrzehnten, habe etliche Verhandlungstage mit ihnen zusammen verteidigt in Gerichtssälen quer durch´s Land und andere lerne ich gerade im Ländle kennen und schätzen.
Es läuft also in Stuttgart.