In diesem Blog berichtet Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. über Strafverfahren in und um die Rhein-Mosel-Stadt
Donnerstag, 31. Dezember 2009
Wünsche
Auch für 2010 habe ich mir vorgenommen, weiter zu bloggen, obwohl mir das Bloggen im zurückliegenden Jahr nicht nur Freu(n)de bereitet hat. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Kollegen Werner Siebers für die Vertretung in dem gegen mich gerichteten Verfahren bei der Rechtsanwaltskammer Koblenz bedanken. Das Verfahren wurde eingestellt oder zutreffender formuliert: Diejenigen, die die Eingabe bei der Kammer gemacht hatten, haben schließlich davon abgesehen, ein Verfahren gegen mich einzuleiten.
Mein Blog-Fazit für 2009:
Sowohl die positive Resonanz vieler Mandanten und Kommentatoren wie auch die kritischen Äusserungen u.a. eines einzelnen Herrn tragen dazu bei, dass Bloggen nie langweilig wird.
Guter Vorsatz für 2010? - Scheidung!
Er bedankte sich bei mir, gelobte, mir immer treu sein zu wollen (als Mandant versteht sich!) und sagte dann: "So, und als nächstes sorgen Sie dafür, dass ich schnellstmöglich geschieden werde!"
Wird gemacht!
Mittwoch, 30. Dezember 2009
Kinderbesuch im Knast
Natürlich vermisse ihr Freund die Kinder und die Kinder ihn, erklärte sie, aber sie und ihr Freund seien sich einig darüber, dass man den Kindern Besuche hinter Gittern nicht antun muss.
Die Einstellung kann ich nur begrüßen. Alles, was ich bislang zu diesem Thema vor Ort mitbekommen habe (verstörte Kinder trotz netter Vollzugsbeamter) lässt mich annehmen, dass die meisten Kinder es besser verarbeiten, ihren Vater eine Zeitlang gar nicht zu sehen als im Rahmen überwachter JVA-Besuche.
Dienstag, 29. Dezember 2009
Das Picknick im Auto - das Urteil
Nicht, dass ich etwas Anderes erwartet hätte, klang doch der Vortrag der Klägerin von Schriftsatz zu Schriftsatz immer abenteuerlicher und die Versuche, das Gutachten in Zweifel zu ziehen, hatten die Grenze des Amüsanten längst erreicht.
Das Gericht stützt seine Entscheidung auf das eingeholte Gutachten zur Schadensplausibilität. Wir erinnern uns: der Gutachter hielt es für technisch unmöglich, dass die Colaflasche anders als durch ein schräges Werfen nach oben die Windschutzscheibe überhaupt hätte treffen können. Geworfen haben will die Klägerin die Flasche aber freilich nicht. Auch der klägerseits beschriebene Käsekuchenflug sei bei dieser Sachlage völlig auszuschließen.
Es bleibt abzuwarten, ob es eine Fortsetzung geben wird. Der Streitwert wurde auf satte € 677,35 festgesetzt; die Sache ist also berufungsfähig, § 511 II Nr. 1 ZPO.
Montag, 28. Dezember 2009
To do Liste aus dem Knast
Beim Lesen der Post nämlich stolpere ich über das Schreiben eines inhaftierten Mandanten, der mir aufträgt:
- Mutter anrufen wegen Paket
- Arbeitgeber anrufen
- Vermieter anrufen
- Kumpel anrufen wegen Besuch
- Handyvertrag vorsorglich kündigen
- Kontoauszüge besorgen
Was die Frau Mama angeht, bin ich dieser gegenüber von der Schweigepflicht entbunden und werde daher die To-do-Liste an sie weiterreichen. Wetten, dass die sich freut?!
Donnerstag, 24. Dezember 2009
Mal was Besinnliches...
Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war’s, durch alle Gassen scholl
der Kinderjubel und des Markts Gebraus.
Und wie der Menschenstrom mich fort gespült,
drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:
"Kauft, lieber Herr!" Ein magres Händchen hielt
feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.
Ich schrak empor, und beim Laternenschein
sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
wes Alters und Geschlecht es mochte sein,
erkannt’ ich im Vorübertreiben nicht.
Nur vor dem Treppenstein, darauf es saß,
noch immer hört’ ich, mühsam, wie es schien:
"Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn’ Unterlass;
doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.
Und ich? War’s Ungeschick, war es die Scham,
am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh’ meine Hand zu meiner Börse kam,
verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.
Doch als ich endlich war mit mir allein,
erfasste mich die Angst im Herzen so,
als säß’ mein eigen Kind auf jenem Stein
und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.
(Theodor Storm, 1817 - 1888)
Mittwoch, 23. Dezember 2009
Talking Ishan und kein Ende
Nachdem auch die heute gehörten Telefonate in der Übersetzung wiederum in eklatantem Gegensatz zu den Zusammenfassungen der Polizei standen, stellte sich erneut die Frage, wie fortzufahren ist.
Das Gericht hat dem Wunsch der Staatsanwaltschaft Rechnung getragen, noch weitere Telefonate zu hören. Damit geht es im kommenden Jahr also weiter.
Das Verfahren, das seit 2005 mit einem großen Ermittlungsaufwand betrieben worden ist, hat sich bislang nicht so entwickelt, dass die Anklage auch nur in einem einzigen Punkt hätte bestätigt werden können. Mein Verteidigerkollege hat heute wieder mal darauf aufmerksam gemacht, dass die Fortsetzung des Verfahrens früher oder später den Rechnungshof interessieren könnte. Nun gut, jeder Verhandlungstag kostet ein paar hundert Euro, aber wie pflegte einer meiner früheren Ausbilder zu sagen: "Wenn´s der Wahrheitsfindung dient!"
Dienstag, 22. Dezember 2009
Christ./.Kind
Hat vor Jahren mal ein Kollege in meinem Büro gemacht.
Die Azubi stellte zu mir durch mit den Worten: "Ich such dann schnell die Akte und bring sie Ihnen." Sie hat die Akte verzweifelt gesucht, nicht gefunden und daher eine Kollegin gefragt, die ihr geantwortet hatte: "Ach Christ./. Kind?! - Die liegt im gleichen Fach wie Niko./.Laus!" Damit war der Groschen gefallen.
Montag, 21. Dezember 2009
Talking Ishan - weiter geht`s
Nachdem Dolmetscher Nr. 4 beim letzten Mal dafür gesorgt hatte, dass die TKÜ dann doch ganz anders klang als in Akten und Anklage zu lesen, habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir vielleicht zum (guten) Ende kommen.
Frühes Weihnachtsgeschenk
Erfreulicherweise sahen der Staatsanwalt und die Vorsitzende das genauso. Das Urteil lautete auf 8 Monate, ausgesetzt zur Bewährung und 500 Euro an die Staatskasse. Es wurde sofort rechtskräftig und für meinen Mandanten kann Weihnachten gar nicht besser werden.
Sonntag, 20. Dezember 2009
Statt Karten
Ich meine, dass das Geld so besser angelegt ist.
Samstag, 19. Dezember 2009
Rücksicht
Ich führe die Korrespondenz mit der gegnerischen Versicherung und fordere neben dem am Auto entstandenen Unfallschaden auch Schmerzensgeld für meine Mandantin.
Besorgt ruft sie mich an und fragt, ob das Mädchen, das auf ihr Auto aufgefahren sei, jetzt große Schwierigkeiten bekomme. Immerhin habe der Gutachter an ihrem Auto ja einen Schaden von weit über 5000 Euro festgestellt und soviel könne die Gegnerin ja sicher unmöglich bezahlen. Ich erkläre ihr in aller Kürze das Wesentliche zum Thema Kfz-Haftpflichtversicherung.
Sie ist beruhigt. Ich bin beeindruckt von ihrer Rücksichtnahme.
Freitag, 18. Dezember 2009
Tücken der Technik - Fortsetzung
Die zuständige Staatsanwaltschaft hat mir nun eine Kopie der DVD zukommen lassen. Die darauf befindlichen Dateien lassen sich trotz mehrfachen Versuchens nicht öffnen. Ich habe sie nun zurück geschickt und gebeten, mir möglichst noch vor der nächsten Hauptverhandlung eine DVD mit intakten Dateien zuzusenden.
Donnerstag, 17. Dezember 2009
Die Faxpanne - das gute Ende
Heute war Termin. Nach der Verhandlung meinte er, ich sei wohl sauer gewesen wegen seines Misstrauens. Ich bejahe grinsend, darauf wartend, dass er mir jetzt mit der Faxpanne kommt. Genau das ist der Fall. Er sei aber auch sauer gewesen, weil die Ladung des Amtsgericht A. jüngeren Datums sei als seine Ladung. Das ist zwar richtig, aber der Richter beim Amtsgericht A. hatte den Termin bevor er die Ladung verfügt hatte, mit mir telefonisch abgestimmt, so dass ich den Termin längst eingetragen hatte als die Ladung des Amtsgerichts N. eintraf.
Wir haben die Sache dann sozusagen übereinstimmend für erledigt erklärt, schließlich waren wird damit quitt. Alles wird gut.
Napoleon-Komplex
Im Gütetermin legte er noch eine Schippe drauf und das, obwohl seine Partei nicht einmal dabei war. Er ereiferte sich in einer Weise, wie ich sie selbst bei hohen Streitwerten selten erlebt habe. Es war hochamüsant und ich fragte mich, für wen der Kollege wohl dieses seltsame Schaulaufen abhält. Sowohl seine Armbanduhr als auch seine sonstige Bekleidung (sein Auto konnte ich nicht ausmachen) sprachen gegen den Napoleon-Komplex, auf den ich anderenfalls getippt hätte.
Als er dann auch noch anfing, aus seinen außergerichtlichen Schreiben zu zitieren, was der Richter mit einer stoischen Ruhe über sich ergehen ließ, wurde mir klar: er gehört zur Spezies der Anwälte, die sich persönlich angegriffen fühlen, wenn man einen ihrer Mandanten verklagt und er nimmt die Sache wirklich bitter ernst.
Mittwoch, 16. Dezember 2009
Der deutsche Einzelhandel - ein Fallbeispiel oder: Obacht bei der Berufswahl
Ich habe diesen Fehler vergangenen Samstag gemacht und in einem Möbelhaus angerufen, dessen Mitarbeiter mir über eine Woche zuvor versprochen hatte, sich einen Tag später um meine Reklamation (eine schlecht schließende Schranktür) zu kümmern. In der Zwischenzeit passierte trotz einer telefonischen Nachfrage, die mit "wie rufen Sie zurück" verbeschieden worden war, nichts.
Es schien, als hätte ich dieses Mal mehr Glück. Am anderen Ende ist eine freundliche aber leicht überfordert wirkende Dame, die mich an einen der zuständigen Kollegen durchzustellen zusagt.
Nach schier endlosen Minuten in der Warteschleife dann endlich die Mitteilung, dass der betreffende Kollege gerade in die Pause gegangen sei, mich aber im Laufe des Tages zurückrufen werde. Da ich weiß, dass "im Laufe des Tages" nicht gleichbedeutend ist mit "im Laufe des HEUTIGEN Tages", frage ich, wann er denn wieder aus der Pause zurück sei, damit ich ihn anrufen könne. Zusätzlich bitte ich um seine Durchwahl und hilfsweise darum, zu einem anderen Zuständigen durchgestellt zu werden.
So, so die nun nicht mehr freundliche, sondern nur noch überforderte Dame, gehe das ja nicht. Die Durchwahl könne sie nicht herausgeben (Stressmodus), der weitere Zuständige sei gerade in einem Gespräch (Megastressmodus) und (im Krawallmodus):
"Und außerdem ist heute Samstag!"
Hätte ich wissen wollen, welcher Tag ist, hätte ich sie nicht anrufen müssen; da hätte ein Blick in den Kalender genügt. Vor Jahren hätte ich ihr das auch so gesagt, aber man wird gelassener. Ich hätte ihr auch gesagt, dass ich nichts dafür kann, dass sie im Einzelhandel arbeitet und ich nicht ihr Berufsberater war, der ihr zu diesem Job geraten hat. Ich hätte ihr weiter gesagt, dass ich mich nicht darüber beschwere, wenn mich nachts Mandanten anrufen, die gerade festgenommen wurden und nun anwaltlichen Beistand benötigen. Wer Strafverteidiger wird, weiß das; wer Lokführer wird, weiß, dass sich bisweilen Leute vor seinen Zug werfen und wer sich für einen Beruf im Einzelhandel entschieden hat, weiß, dass er auch samstags arbeiten muss - was also soll das Gezeter?Ich beende das Gespräch.
Übrigens: ein Rückruf ist bis heute nicht erfolgt. Ich habe die Sache anderweitig geregelt, da ich eingesehen habe, dass es einfacher ist, eine Reparatur selbst vorzunehmen als darauf zu warten, dass sich der, den es angeht, darum kümmert.
Entspannt
Kurz zuvor war ein Strafverfahren gegen ihn mit Auflage einer Zahlung eingestellt worden, das ihm seit Monaten schlaflose Nächte bereitet hatte. Bis dahin kannte er nur die Zivilgerichtsbarkeit und Strafsachen lediglich aus dem Fernsehen.
Die Einstellung war eine für alle Beteiligten gangbare Alternative. Ansonsten hätte ich Beweisanträge stellen müssen, das Gericht hätte weitere Akten beiziehen müssen und wir hätten uns in einem halben Jahr wiedergetroffen. Bis dahin wäre mein Mandant aber mit den Nerven "zu Fuß" gewesen.
Die größte Diskussion gab es darüber, an welche gemeinnützige Einrichtung die Auflage zu zahlen sein würde. Die Staatsanwaltschaft hatte vorgeschlagen, an die Staatskasse zu zahlen, mein Mandant wollte lieber die Katzenhilfe. Geeinigt hat man sich auf ein Kinderhilfswerk.
Montag, 14. Dezember 2009
Kurz vor knapp
Einen Tag vor dem Termin zur Hauptverhandlung ruft der Mandant an und möchte wissen, ob er denn tatsächlich mit zum Termin muss. Jawohl, muss er. Das ist ihm unverständlich ("Wozu hab ich Sie eigentlich engagiert?"). Noch unverständlicher ist ihm, weshalb die Rechnung vorher zu bezahlen ist. Ich lasse ihm die Wahl und verweise auf meine vorangegangenen Schreiben: ich MUSS ihn nicht verteidigen, er kann dies selbst tun. Wenn ich ihn aber verteidigen soll, ist die Zahlung vorab zu leisten. Zudem ist eine Besprechung nach wie vor erforderlich. Er erscheint schlecht gelaunt zur Besprechung, hat aber immerhin Geld dabei.
Das Verfahren für ihn läuft trotz eines bärbeißigen Staatsanwalts besser als ich es geahnt hatte. Er sitzt schweigend neben mir, wozu ich ihm geraten hatte. Zwei Zeugen fehlen, von denen einer auf absehbare Zeit nicht an einer Verhandlung wird teilnehmen können. Nach einem Rechtsgespräch wird das Verfahren in allseitigem Einverständnis nach § 153 StPO eingestellt.
Im Anschluss an die Verhandlung sagt er zu mir: "Na ja, war schon gut, dass Sie mit waren."
Ich freue mich über diese Einsicht. Dann meint er: "Aber wenn Sie mich teurer gekommen wären als der Strafbefehl, würde das anders aussehen." Auch eine Einstellung: lieber eine eingetragene Vorstrafe als eine Verteidigerrechnung. Das sieht allerdings nur die Minderheit so.
Samstag, 12. Dezember 2009
Flucht durch die Essensklappe
http://www.bild.de/BILD/news/2009/12/11/knast-ausbruch-des-jahres/dieb-flieht-durch-essensklappe.html (Quelle: BILD)
Der Ausbrecher scheint also nicht nur ein mutmaßlicher Trickbetrüger zu sein, sondern auch noch Turntricks auf Lager zu haben.
Freitag, 11. Dezember 2009
Freispruch nach 7 Monaten Untersuchungshaft
Vorangegangen waren mehrere Verhandlungstage, in denen u.a. die Kinder als Zeugen gehört worden waren.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eine 8-jährige Haftstrafe gefordert, die Nebenklage hatte sich diesem Antrag angeschlossen, ich hatte Freispruch beantragt. Die Kammer ist meinem Antrag gefolgt. Sie sprach meinen Mandanten in konsequenter Anwendung des in-dubio-Grundsatzes frei und sprach ihm eine Haftentschädigung für die erlittenen 7 Monate Untersuchungshaft zu.
Zwei der Kinder, Mädchen, hatten Aussagen gemacht, die so wenig detailreich und damit "dünn" waren, dass die Kammer einen Nachweis der behaupteten Taten als nicht erbracht ansah. Das dritte Kind, ein Junge, hatte im Laufe mehrerer Vernehmungen derart eklatante Widersprüche bezogen auf das Kerngeschehen geschildert, dass die Kammer die Vorwürfe gegen meinen Mandanten nicht bestätigt sah. Der Zeuge, so der Vorsitzende in der Urteilsbegründung, sei sehr suggestibel.
Das in diesem Prozess für mich Auffälligste war, dass keines der Kinder im Rahmen seiner Aussage eine stärkere emotionale Regung hatte erkennen lassen. In den vergangenen 11 Jahren hatte ich Gelegenheit, viele Opferzeugen zu vernehmen. Hierbei habe ich erlebt, dass Männer, die als Angestellte einer Bank überfallen worden waren, bei ihrer Aussage mit der Fassung rangen. Ich habe erlebt, wie Opfer von Körperverletzungen in ihren Vernehmungen weinten, wie Kinder schrien, wenn sie dem Täter auf dem Gerichtsflur begegneten. Unzählige Unterbrechungen hatte es bei diesen Vernehmungen gegeben, weil sich die Zeugen wieder sammeln mussten. Was ich noch nicht erlebt hatte, waren Kinder, die von derart schlimmen Handlungen, wie sie sie meinem Mandanten vorgeworfen hatten, in einer Art und Weise erzählten, als berichteten sie von einem alltäglichen Geschehen. Ebenfalls schwer nachvollziehbar, dass eines der Mädchen, das meinen Mandanten belastet hatte, nach der Trennung der Eltern zu diesem gezogen war anstatt bei der Mutter zu bleiben, was angesichts der erhobenen Vorwürfe verständlich gewesen wäre.
Der Kollege, der die Nebenklage vertrat, rügte meinen Mandanten, dass er den Kindern durch sein Schweigen die Vernehmung nicht erspart habe. Ich kann meinen Mandanten nur dazu beglückwünschen, dass er meinem Rat gefolgt war und deshalb die Kinder vernommen wurden, denn nur so konnten die unzähligen Widersprüche aufgedeckt werden und nur so konnte sich die Kammer einen Eindruck von den Zeugen verschaffen.
Mein Mandant ist wieder ein freier Mann und wird in der kommenden Zeit alle Hände voll zu tun haben, sich wieder ein neues Leben aufzubauen, denn durch die Untersuchungshaft hat er Wohnung und Arbeit verloren.
Es bleibt abzuwarten, ob Staatsanwaltschaft und/oder Nebenklage Revision gegen die Entscheidung einlegen.
Donnerstag, 10. Dezember 2009
Verlesen statt Vernehmen? Bitte nein!
Mein Mandant macht von seinem Schweigerecht Gebrauch. Nach Verlesen des Bußgeldbescheides "empfiehlt" die Vorsitzende abermals, den Einspruch zurück zu nehmen. Auch dieser Empfehlung kommen mein Mandant und ich nicht nach (Es macht keinen Sinn, erst anzureisen und dann einen Einspruch zurück zu nehmen. Das geht auf dem Schriftwege deutlich billiger.) Die Vorsitzende schaut mich fragend an: "Und nun?" Für einen Moment überlege ich, ob das ein Angebot ist, die Plätze zu tauschen, was anzubieten aber nicht höflich wäre. Ich rege daher an, in die Beweisaufnahme einzutreten, ahnend, dass sie keine Zeugen geladen hat. Die aber wird sie brauchen um den Tatnachweis eventuell führen zu können.
Die Vorsitzende wirkt ein wenig angefressen und unternimmt dann den (untauglichen) Versuch, Zeugenaussagen und dienstliche Vermerke von Polizeibeamten per Verlesen in die Hauptverhandlung einzuführen. Ich widerspreche dieser Vorgehensweise. Beweise in der Hauptverhandlung sind unmittelbar zu erheben, also durch Vernehmung der Zeugen und nicht durch Vorlesen der Aussagen, die diese irgendwann einmal gemacht haben. Das weiß die Vorsitzende freilich auch.
Sie unterbricht die Hauptverhandlung um ihren Kalender zu holen, damit sie einen neuen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen kann. Das klappt reibungslos.
Mein Mandant fragt mich nach der Verhandlung, ob die Vorsitzende vorhatte, sprichwörtlich "kurzen Prozess" mit ihm zu machen. Das weiß ich nicht, aber wenn man einmal bedenkt, dass bei recht dünner Beweislage keine Zeugen geladen wurden, könnte dem so sein. Dann will er noch wissen, ob sie "das mit dem Verlesen" überhaupt gedurft hätte. Das weiß ich und bejahe. Wenn man als Betroffener bzw. als Verteidiger eines Betroffenen einer solchen Vorgehensweise nicht widerspricht, dürfen z.B. Zeugenaussagen durch Verlesen in die Hauptverhandlung als Beweismittel eingeführt werden.
Mittwoch, 9. Dezember 2009
Jurastudium und forensische Pathologie - ein Rückblick
Bei minderjährigen Mitarbeitern (Azubis, Praktikanten) war einhellige Meinung, dass das der Ausbildung zuviel ist. Bei den volljährigen Mitarbeitern gingen die Meinungen auseinander. Ja, meinten die einen (Argument: "Sowas muss man abkönnen."), nein, meinten die anderen (Argument: "Bloß nicht. Das grenzt ja an Mobbing").
Ich meine, dass es drauf ankommt. Meine Damen würde ich als eher robust bezeichnen. Die hat bislang noch kein Foto schocken können. Es gab jedoch Zeiten, in denen tatsächlich mal eine Mitarbeiterin nach Ansicht einer Akte, die Fotos einer Obduktion enthielt, schreiend die Akte fallen liess und davonrannte als sei der Teufel hinter ihr her. Sie arbeitet heute in einer ausschließlich im Zivilrecht tätigen Kanzlei, in der die Gefahr unappetitlicher Fotos sehr viel geringer ist und ist darüber wahrscheinlich sehr froh.
Wer als Student schon die Weichen stellen möchte für eine spätere Tätigkeit als Strafverteidiger oder Staatsanwalt, dem sei empfohlen, Vorlesungen in forensischer Pathologie zu belegen. Ich habe seinerzeit 2 Semester in diesem Fach belegt. Neben der Vorlesung "Strafrecht - Besonderer Teil" bei Prof. Dr. Dr. Günther Jakobs (inzwischen em.) die, wie ich fand, spannendste Vorlesung, die die juristische Fakultät zu bieten hatte. Die erste Vorlesung zu Semesterbeginn war so gut besucht, dass kaum alle Studenten Platz fanden im Hörsaal. Die Reihen lichteten sich jedoch rasch dank eines Diavortrages des Dozenten zum Thema "Stumpfe und spitze Gewalt". Gegen Semesterende waren wir nur noch eine Handvoll Studenten, die bei einer Leichenöffnung dabeiwaren und danach gewappnet für viele denkbare Bilder und Gerüche, die im Laufe der Folgejahre auf uns zukommen würden.
Übrigens: im Gegensatz zu Staatsanwälten, die eine Art "Schmutzpauschale" für die Reinigung ihrer Kleidung bekommen wenn sie bei einer Leichenöffnung zugegen waren, bekamen wir damals kein Geld für die große Wäsche. Die Klamotten habe ich damals übrigens vollständig entsorgt, nachdem ich glaubte, den Leichengeruch auch durch Waschen nicht aus ihnen heraus zu bekommen.
Dienstag, 8. Dezember 2009
Mit der gesegneten Kerze...
Jedem in Untersuchungshaft einsitzenden Mandanten erkläre ich, wie das funktioniert mit der Postkontrolle. Jeder Brief mit Ausnahme der Verteidigerpost wird vom Richter bzw. dem Staatsanwalt gelesen. Briefe, die sich mit dem Gegenstand des Strafverfahrens befassen ("Die Anklage stimmt nicht. In Wirklichkeit war es so und so") oder sonstwie verdächtigen Inhalt haben ("Das Geld liegt im Park, dritte Eiche hinten links.") werden als Beweismittel beschlagnahmt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird darüber entschieden, ob es ausreichend ist, eine Kopie zur Hauptakte zu nehmen und den Brief danach an den Empfänger weiter zu leiten oder ob der Brief im Original zur Akte genommen und nicht weitergeleitet wird.
Kürzlich erreicht mich ein Beschluss einer Strafkammer, der sich mit einem halben Dutzend beschlagnahmter Briefe befasst. Inhalt: das Verfahren! Ich werde mich bei nächster Gelegenheit erkundigen, was das sollte.
Montag, 7. Dezember 2009
Aktenkenntnis schadet nicht
Das Strafverfahren richtet sich also jetzt gegen den Angreifer und mein Mandant ist Nebenkläger.
Der Angreifer ist anwaltlich vertreten. Ich frage mich allerdings, ob sein Anwalt jemals die Strafakte gelesen hat, denn er macht für seinen Mandanten Schmerzensgeld gegenüber meinem Mandanten geltend. Sicher, das Strafverfahren ist nicht präjudiziell für den Zivilprozess, aber ich denke, dass in diesem Fall die Klage auf Seiten des Klägers nur dazu führt, dass Gebühren verdient werden.
Freitag, 4. Dezember 2009
Beschilderungsplan - Interpretationsversuche
Der Messbeamte glaubt zwar, dass ca. 350 Meter vor der fraglichen Stelle ein 60 km/h-Schild gestanden habe, hat aber keine Erinnerung mehr an weitere Schilder vor bzw. hinter der Stelle, an der geblitzt wurde.
Das Gericht fordert auf meinen Antrag hin einen Beschilderungsplan an. Auf diesem sind 50 km/h-Schilder und 80 km/h-Schilder eingetragen, aber kein einziges mit 60 km/h. Dafür fehlt neben der Angabe der Bundesstraße (die über 100 km lang ist) jegliche weitere Ortsangabe. Eine vom Polizeibeamten erwähnte Bushaltestelle ist auch nicht eingetragen, dafür findet sich eine Baustelle. Interpretationsversuche, den Plan der Messstelle zuzuordnen, schlugen ebenso fehl wie die Versuche des Gerichts, den Betroffenen zur Rücknahme des Einspruchs zu bewegen.
Das Gericht wird nun im Wege der Amtsermittlung versuchen, den Beschilderungsplan, der zum Tatzeitpunkt galt, beizuziehen.
Donnerstag, 3. Dezember 2009
Yes he can - speaking Ishan for Runaways
Die Vereidigung gestaltete sich schwierig, denn sein Deutsch war nicht soooo toll.
Sein Ishan dafür umso besser. Erstmals hatte ich den Eindruck, dass die Übersetzungsleistung an das heranreicht, was im Strafprozess gefordert ist.
Das Gericht hatte angesichts der Vielzahl der TKÜ, deren Anhören und Übersetzen Jahre in Anspruch nehmen würde, vorgeschlagen, zunächst mit den Telefonaten zu beginnen, auf die die Anklage ihre Vorwürfe stützt.
Interessant war, dass Dolmetscher Nr. 4 etwas Anderes übersetzte als es in den Zusammenfassungen, die die Polizei (die natürlich auch einen Dolmetscher am Start hatte, über dessen Qualität nur gemutmaßt werden kann) von den mitgeschnittenen Telefonaten angefertigt hatte, stand und auch als es Dolmetscher Nr. 3 versucht hatte, zu übersetzen.
Die Abweichungen waren zugunsten eines der Angeklagten, dem die Anklage das Einschleusen einer konkret benamten Frau vorwirft. Der angebliche Name dieser Frau taucht auch in den TKÜ-Zusammenfassungen auf. Der Dolmetscher vermochte ihn allerdings nicht auszumachen und übersetzte den vermeintlichen Namen mit einem Begriff aus der Ishansprache, der dort als Kosewort sowohl für Männlein wie auch für Weiblein verwendet werden kann.
Auch die weiteren Abweichungen zwischen wörtlich übersetzter TKÜ und den polizeilichen Zusammenfassungen waren so eklatant, dass die Tatvorwürfe mehr denn je in Frage gestellt wurden.
Die Anträge, die der Kollege und ich in der letzten Sitzung gestellt hatten und die darauf abzielten, Dolmetscher Nr. 3 auszuwechseln, waren demnach zutreffend angebracht. Durch die Bestellung von Dolmetscher Nr. 4 musste das Gericht nicht mehr über sie entscheiden, da sie sich faktisch erledigt hatten.
Mittwoch, 2. Dezember 2009
Landgericht Köln: Ausgleich geistigen Mangels durch Kunst
Erwähnenswert allerdings eine Kunstausstellung im dortigen Treppenhaus, die so kommentiert wird:
Do you speak Ishan? Fortsetzung folgt...
Wenn ich bislang immer "Isha" geschrieben habe, war das fehlerhaft. Richtig muss es "Ishan" heissen.
Ishan ist eine von über 400 in Nigeria gesprochenen Sprachen. Hauptsächlich spricht man dort laut Wikipedia Yoruba, Haussa, Igbo und Edo.
Das Gericht hat zu dem Termin einen anderen Dolmetscher geladen. Dolmetscher Nr. 3, der beim letzten Termin zugegen war, wird uns also erspart bleiben.
Dienstag, 1. Dezember 2009
Advent
aus gegebenem Anlass mein Lieblingsgedicht zum Advent:
http://www.youtube.com/watch?v=kvtltxFEAIM
(Loriot "Adventsgedicht")
Mein Anwalt ist verhindert
Ob sie denn eine Vollmacht für die weitere Beklagte dabeihabe. Nein, habe sie nicht. Davon habe ihr ihr Anwalt nichts gesagt. Das, so der Vorsitzende, sei nicht so gut.
Der Vorsitzende nimmt meine Rüge ins Protokoll auf.
Die Beklagte regt sich darüber auf.
Im sicheren Wissen, dass sich mein Mandant seit fast einem Jahr über die Schriftsätze ihres Anwaltes aufregt, halte ich den Ärger der Beklagten für ausgleichende Gerechtigkeit.
Wie immer, wenn Parteien sich selbst vertreten, werden Argumente vorgebracht, die zurückhaltend formuliert, zur Sache wenig beitragen. Der Vorsitzende nimmt keines der Argumente ins Protokoll auf und stattdessen die Anträge. Auch hierüber ist die Beklagte nicht erfreut. Sie wolle sich vergleichen, tönt sie, und unterbreitet einen Vorschlag, der schon außergerichtlich abgelehnt worden war und nun dasselbe Schicksal erfährt. Der Tonfall der Beklagten wird heftiger, eine Zornesfalte zeigt sich auf ihrer Stirn. Die Frau ärgert sich richtig.
Der Vorsitzende bestimmt Verkündungstermin und wünscht einen schönen Tag.
Die Beklagte ist verwundert, dass DAS alles gewesen sein soll. Vielleicht kennt sie "Gericht" nur aus dem Nachmittagsprogramm. Vor diesem Hintergrund könnte ich ihre Enttäuschung sogar verstehen.
Es passiert nicht oft, dass Partein, die einen Anwalt beauftragt haben, alleine ins Rennen geschickt werden. Für die Beklagte mutmaße ich, dass sie nicht nochmal selbst einen Termin wahrnehmen möchte.
Tücken der Technik in Bayern
Ich musste feststellen, dass man dort fast so gut ausgestattet ist wie ich es aus dem Osten der Republik kenne. Flachbildschirme, neue Rechner, Internetzugang. Zwar monierte der Richter augenzwinkernd, dass die ihn interessierenden Seiten gesperrt seien ("Nicht mal eine Reise kann man buchen!"), aber im Wesentlichen erfüllten die Rechner ihren Zweck.
Nachdem 5 Zeugen zu dem ersten Anklagevorwurf vernommen waren, wandte sich das Gericht dem zweiten Anklagepunkt zu, einem Diebstahl in besonders schwerem Fall, der per Video aufgezeichnet und auf eine DVD gebannt worden sein sollte. Die Akten, die ich mir im Vorfeld mehrfach angefordert hatte, enthielten zwar viel Papier, aber keine DVD.
Der Richter suchte die Akte ebenfalls erfolglos ab und liess sich dann alle Asservate kommen. Siehe da - die DVD war zu den Asservaten gelangt, kein Mensch weiß wie und warum, aber sie war da. Beherzt wurde sie ins Laufwerk des Gerichtsrechners geschoben. Dann erschienen lustige Bildchen auf dem Bildschirm, die verkündeten, dass die Datei nicht geöffnet werden könne, weil auf dem Rechner eine bestimmte Software fehle. Die konnte auf die Schnelle nicht beschafft werden. Das Verfahren wurde ausgesetzt.