Manchmal beneidet man sich nicht, wenn man einen von zwei Angeklagten verteidigt und der Verteidiger des anderen Angeklagten den Alleingang probt.
Unlängst flatterte mir eine Akte zur ergänzenden Einsichtnahme auf den Tisch. Gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung. Beide Angeklagten sind Heranwachsende, das vermeintliche Opfer und sämtliche Zeugen schildern die angebliche Tat derart unterschiedlich, dass man glauben möchte, es ginge um mindestens fünf unterschiedliche Sachverhalte.
Unter Würdigung der bisherigen Beweislage habe ich der Bewährungshilfe, die anfragte, ob man zum Täter-Opfer-Ausgleich bereit sei, mitgeteilt, dass hierzu keine Bereitschaft bestünde.
Der Akte entnehme ich nun, dass der Kollege für seinen Mandanten Bereitschaft bekundet hatte. Erfreulicherweise ist die Sache aber insgesamt daran gescheitert, dass das angebliche Opfer nicht bereit war, einen Termin zum gemeinsamen TOA-Gespräch wahrzunehmen.
Ich habe den Kollegen angerufen um zu fragen, was das soll. Er habe das Verfahren ohne Hauptverhandlung erledigen wollen. Einmal unabhängig davon, dass die meisten Gerichte nicht geneigt sind, Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzungen nach Eröffnung des Hauptverfahrens ohne Hauptverhandlung einzustellen, fürchte ich, dass der Alleingang des Kollegen auf dem Rücken meines Mandanten hätte ausgetragen werden sollen. Erfreulicherweise hat das ausgerechnet das mutmaßliche Opfer verhindert. Weniger erfreulich ist, dass wir demnächst gemeinsam verteidigen müssen. Zu hoffen bleibt, dass der Kollege sich bis dahin überlegt hat, dass eine Sockelverteidigung nicht nur für meinen Mandanten sinnvoll ist.
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