Dienstag, 16. März 2010

Der Referendar und die Schulklasse

Manche Gerichte scheinen Schulklassen förmlich anzuziehen. Immer wenn ich in G. verhandele, was ca. ein halbes Dutzend mal pro Jahr vorkommt, sitzt eine Schulklasse im Sitzungssaal. So auch heute.

Die Sitzung startete mit Verzögerung, da der Vertreter der Staatsanwaltschaft, ein Referendar, mit Verspätung eintraf. Anstelle einer Entschuldigung schüttelte er erstmal der Richterin und der Protokollführerin die Hand bevor er zu seinem Platz schritt und umständlich die Akten auspackte. Das Verlesen der Anklageschrift verlief unfallfrei, das spätere Halten des Plädoyers nicht mehr so ganz.

Meine Referendarin, die hinten im Saal bei der Schulklasse saß, berichtete mir nach der Verhandlung von folgendem Dialog zwischen zwei Schülern:
S 1: "Ist das der Staatsanwalt?"
S 2: "Ja, glaub schon, der hat ja auch die Anklage vorgelesen."
S 1: "Und warum stottert der sich dann so einen zurecht?"
S 2: "Weiß nicht. Ist aber echt uncool."

Das, lieber S 1, weiß ich auch nicht. Dafür weiß ich aber, dass aller Anfang schwer ist, gerade beim Plädieren. Immerhin liess sich aber dem Beginn seines Plädoyers entnehmen ("Hohes Gericht, Frau Verteidigerin"), dass er bis dahin bemerkt hatte, dass nicht nur Richter und Protokollführer anwesend waren.

18 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nehmen Sie das dem Ref. nicht übel: Der Richter wird die Benotung des Refs. vornehmen und muss daher ordentlich begrüßt werden. Den Protokollführer dann nicht zu grüßen hätte den Anschein arroganter Ignoranz. Dagegen noch zur Verteidigerin hinüber zu gehen, wenn man ohnehin schon zu spät ist, würde hingegen etwas umständlich wirken.

Es war sicher keine böse Absicht dabei.

Anonym hat gesagt…

Die Erwähnung des Verteidigers in der Anrede steht so aber nicht in der üblichen Ausbildungsliteratur ;)

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

Ich nehme es dem Ref. nicht übel, obwohl ich direkt neben dem Protokollführer saß.
Ich lege im Übrigen auch keinen Wert darauf, in der Plädoyeranrede erwähnt zu werden, wobei ich gestehen muss, dass mir die "übliche Ausbildungsliteratur" nicht geläufig ist. Meine Referendarin hat mir dazu jedoch erklärt, dass sie in der Stage gelernt habe, man erwähne den Verteidiger nur dann nicht im Plädoyer, wenn man ihn so gar nicht leiden mag.

BV hat gesagt…

Der Richter benotet diesen Referendar sicher nicht. Wenn er für die Staatsanwaltschaft unterwegs ist, wird er auch von seinem dortigen Ausbilder benotet. Und ich glaube nicht unbedingt, dass der beim Richter nachfragt, wie es denn so gelaufen ist.

Anonym hat gesagt…

Ist doch egal, ob der Richter später mit dem Ausbilder telefoniert oder nicht. Das sollte einen nicht davon abhalten, pünktlich zu sein und wenn schon dann alle zu begrüßen.

Detlef Burhoff hat gesagt…

nee, aber der Ausbilder des Referendars fragt ggf. mal beim Richter, wie es denn so gelaufen ist :-)

Detlef Burhoff hat gesagt…

nee, aber der Ausbilder des Referendars fraght ggf. beim Richter, wie es gelaufen ist :-)

Anonym hat gesagt…

In unserem Bundesland, werter Kommentator, ruft der Ausbilder den Richter an (oder umgekehrt) und teilt mit, die Leistung sei "gut", "befriedigend" usw. gewesen. Wie soll der Staatsanwalt auch die Leistungen im Sitzungsdienst kennen, wenn er nicht mitfährt?

Anonym hat gesagt…

Theodor Fontane sagte einmal treffend: "Solange es geht, muss man Milde walten lassen, denn jeder kann sie gebrauchen."

Ich pflege mich in solchen Situationen an meine eigene Zeit als Referendar zu erinnern, an die Aufregung vor der ersten selbst geführten Verhandlung, vor der ersten Sitzungsvertretung mit Plädoyer und lasse dann, so lange es geht, mit Referendaren und jungen Kollegen Milde walten.

Denn Milde ist, entgegen anderlautender Meinungen, keine Schwäche, sondern eine Tugend, die nur leider in Vergessenheit geraten ist.

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Anonym: Sie haben Recht. Ich werde das Zitat von Fontane demnächst mal in einem Plädoyer anbringen und davon berichten, ob und wie das Gericht reagiert hat.

HHH hat gesagt…

Knigge gehört eben nicht zur Ausbildung. Entweder grüße ich alle
"Organe" per Handschlag oder keinen.
Für das "Stottern" sollte man Welpenschutz gewähren, insofern hat "Anonym" Fontane hier gut passend zitiert.
Auch eine knallharte Strafverteidigerin hat doch mal als Referendarin angefangen.

RA JM hat gesagt…

Vielleicht kam der Herr Referendar aus den östlichen Bundesländern - wo die Händeschüttelei immer wieder gern praktiziert wird.

Stammtischbruder hat gesagt…

Ach ja, die Damen und Herren "Organe der Rechtspflege" - stolz darauf, im Mandanteninteresse zu tricksen und zu täuschen bis hart an die Grenze zur Strafvereitelung, aber in Höflichkeitsfragen ehrpusselig bis dort hinaus.

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Stammtischbruder: Welchem Stammtisch gehören Sie an?

Werner Siebers hat gesagt…

Ja, so sind Sie die HERREN Stammtischbrüder. Zu blöd, zu kapieren, dass Rechtsanwälte UNABHÄNGIGE Organe der Rechtspflege sind und dass sie im Innenverhältnis verpflichtet sind, im Rahmen des Zulässigen bis an die Grenze des Zulässigen das Beste für den Mandanten herauszuholen.

Aber der HERR Stammtischlaberer wird unter seinen Berufskollegen sicher Vertändnis finden. Und gut auch, dass der ein oder andere wieder darüber berichten wird.

laertes hat gesagt…

die anrede der verteidigerin bzw des verteidigers zu beginn des plädoyers gehört für mich zum guten ton im gerichtssaal, 'ausbildungsliteratur' hin oder her.
und wer die staatsanwaltschaft per se als 'gegner' der verteidigung begreift, hat anscheinend dringenden bedarf, mal wieder einen blick in die 'ausbildungsliteratur' zu werfen.

Anonym hat gesagt…

Also hier bei uns in NRW ruft niemand den Ausbilder an, vielmehr ist es der StA einfach egal, was man da so fabriziert, zum Teil darf man auch eigenverantwortlich einstellen.

Mir werden oft die Hände von den Angeklagten geschüttelt, muss an meinen milden Plädoyers liegen :)

Unknown hat gesagt…

@RA JM Ich komme auch aus den östlichen Bundesländern und wir schütteln niemandem die Hände. Auch bei uns wird ein höfliches Guten Morgen oder Guten Tag als ausreichend erachtet.

Zu meinem Glück saß bei mir noch keine Schulklasse im Raum und ich habe beim Plädoyer auch noch nicht gestottert. Nur einmal mitten im Satz den Faden verloren. Was soll´s, da mussten alle durch und niemand war beim ersten Mal perfekt.

Bei uns wird der Sitzungsdienst übrigens auch nicht bewertet. Wer wissen will wie er war, der muss schon selbst den Richter fragen. In unserer Station hat sich bisher auch nur ein Richter beim leitenden OStA über uns Referendare beschwert: Er findet es nervig, dass wir bei einer Einstellung immer die StA anrufen müssen. Aber so sind nun mal die Spielregeln.