Nachdem am gestrigen Tag der Vorsitzende
einem Verteidiger das Wort entzogen hatte, während dieser dabei war, eine
Eingangserklärung nach § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO abzugeben, stellte der
Verteidiger für seinen Mandanten ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden.
Die Entziehung des Wortes ist ein scharfes Schwert und muss ultima ratio sein.
Der Vorsitzende hatte seine Entscheidung damit begründet, die Eingangserklärung
überschreite die Grenzen der Vorschrift.
Die Vorschrift ist noch recht neu und in der Rechtsprechung
findet man bislang nicht viel zu ihr. Sie ist im Gegensatz zu manch anderem Gesetzes vom Ausgepauktsein noch weit entfernt. Dass sie im Rahmen der Revision
im Wege der Verfahrensrüge über § 338 Nr. 8 StPO überprüft werden kann, dürfte jedoch auf der Hand
liegen. Was genau Inhalt der Eingangserklärung sein kann oder darf, wird daher
sicher noch Gegenstand von Entscheidungen sein. Dem Wortlaut nach hat sie sich
mit der Anklage auseinander zu setzen. Unterstellt man einmal, dass es dem
Gesetzgeber nicht lediglich darum gegangen ist, die Verteidigung bzw. den
Angeklagten hiermit zu einer frühzeitigen Einlassung zu ermuntern, dann wird
man gerade in Verfahren, die nach einer Aussetzung von Neuem beginnen, den
Wortlaut nicht überstrapazieren dürfen.
Der Ablehnungsantrag klassifizierte die
Entziehung des Wortes als willkürlich und zudem als Ungleichbehandlung. Andere
Verteidiger seien mit ihren Erklärungen, die sich ebenfalls nicht nur am
Wortlaut der Vorschrift ausgerichtet hätten, nicht unterbrochen worden. Nachdem
er die Erklärungen der anderen Verteidiger ebenfalls für sachgerecht hielte,
nehme er nicht unzulässigerweise das Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht für sich
in Anspruch, sondern besorge die Beschränkung eigener Erklärungsrechte.
Das Gericht hat die Verhandlung trotz
Widerspruchs nach § 29 Abs. 2 StPO fortgesetzt.
Wie bereits am Vortag wurde erneut die
Untersagung der Nutzung eigener Laptops zugunsten insuffizienter E-Book-Reader thematisiert.
Mein Mandant wies – am 7. Jahrestag seiner
Festnahme, der sich eine 666 Tage andauernde Untersuchungshaft angeschlossen hatte –
darauf hin, dass es keine Option sei, die Angeklagten darauf zu verweisen, ihre
Anmerkungen zur Akte in Schriftform zu Papier zu bringen. Tags zuvor hatte der
Vorsitzende geäußert, die Angeklagten könnten versichert sein, dass er sich in
ihre Lage hineinversetzen könne. Dies zog mein Mandant in Zweifel. Er, der
Vorsitzende, habe keine Vorstellung davon, wie er als Angeklagter sich fühle.
Als Angeklagter in einem Verfahren dieser Größenordnung müsse man damit
rechnen, sich irgendwann wieder mit Handfesseln auf dem Rücken im Flur der
eigenen Wohnung liegend wiederzufinden und es nicht verhindern zu können, dass schriftliche
Unterlagen beschlagnahmt würden. Bereits deshalb sei die Nutzung von Laptops
unumgänglich.
Dem war nichts hinzuzufügen. Ich bin mir
ziemlich sicher, dass, unterstellt, der Vorsitzende hätte sich in die Lage der
Angeklagten hineinversetzen können, er diesen Aspekt nicht auf der Agenda
hatte, obwohl gerade er verdeutlicht, wie groß die Einschränkung der
Verteidigung ist, wenn ein Angeklagter nicht auf seine eigene digitalisierte
Akte zurückgreifen kann. Es ist kein Geheimnis, dass für den Fall, dass die
Kammer ihre Haltung in diesem Punkt nicht ändern sollte, die Beschränkung der
Verteidigung weiter Thema sein wird.
Noch am Vormittag gab das Gericht den
Angeklagten Gelegenheit, sich zur Person und/oder zur Sache zu äußern.
Ein Angeklagter, der sich im ersten
Durchgang sowohl Person wie auch zur Sache eingelassen hatte, ließ eine
Verteidigererklärung dahingehend abgeben, er widerrufe alle Angaben, die er bisher
bei den Ermittlungsbehörden sowie in der Hauptverhandlung gemacht habe und
mache von seinem Schweigerecht Gebrauch.
Ein weiterer Angeklagter, der sich seit
2012 in einem Zeugenschutzprogramm befindet und der bereits im ersten Durchgang
Angaben gemacht hatte, ließ über seine Anwältinnen erklären, er werde sich im
nächsten Hauptverhandlungstermin zur Person und zur Sache einlassen und für
Nachfragen durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehen. Fragen
von Mitangeklagten und deren Verteidigern würden nicht beantwortet.
Die Verhandlung endete noch vor der angedachten
Mittagspause. Bis zum voraussichtlichen nächsten Termin am kommenden Dienstag
wird das Gericht über den gestellten Befangenheitsantrag zu entscheiden haben.
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