Das Amtsgericht Rüdesheim, bei dem zu verhandeln ich heute das Vergnügen hatte, liegt beschaulich in dem Städtchen mit der Drosselgasse in der Gerichtsstraße. Man erreicht es von Koblenz aus über die A61 oder die B42. Wählt man erstere Strecke, muss man in Bingen die Autofähre nehmen nach Rüdesheim. So geschehen. Angekommen in Rüdesheim begann mein Navigationsgerät, mich im Kreis zu leiten und wollte mich wieder auf die Fähre schicken. Der Termin rückte näher.
Nachdem ich absehen konnte, dass ich mich verspäten würde (ich hasse Verspätungen), versuchte ich ca. zwei Dutzend mal vergeblich, beim Amtsgericht irgendjemanden zu erreichen. Erfolglos. Geschäftsstelle unbesetzt, Zentrale dito, Handy des Mandanten, der sicher schon nervös auf dem Flur wartete, ausgeschaltet.
Nachdem Telefonieren nicht der Schlüssel zum Glück war, entschloss ich mich, meine Suche nach dem Gericht zu beschleunigen und Passanten nach dem Weg zu fragen, derweil ich mit dem Gedanken spielte, die Frau im Navi, die nicht müde würde, mich auf die Fähre zurücklotsen zu wollen, kurzerhand im Rhein zu versenken.
Da es Sommer ist und Rüdesheim vor Touristen nur so wimmelt, kann man froh sein, wenn man bei der Suche nach dem Weg spontan einen Landsmann erwischt. Japaner sind phänotypisch rasch erkannt und auch Engländer bilde ich mir ein, erkennen zu können. Der deutsche Tourist trägt meist Ledersandalen und Socken zur im Übrigen schlecht sitzenden halblangen Hose, aus der blasse Beinchen hervorstechen. Also sprach ich nur Männer (Frauen nach dem Weg zu fragen ist Zeitverschwendung, es sei denn man will im Ergebnis nicht zielführende Sätze hören wie: "Und dann fahren Sie an der Ecke, wo vor zwei Jahren die Katze von Frau Schmitz überfahren wurde, rechts hoch") mit langen Hosen an. Die ersten vier Herren stammten dem Dialekt nach aus Bayern, Thüringen und Sachsen und hätten mir zwar bestimmt sagen können, wo es den besten Rüdesheimer Kaffee gibt, nicht aber, wie ich zum Amtsgericht finde. Im fünften Anlauf hatte ich Glück: ein Einheimischer - der den Weg nicht kannte, das nicht zugeben wollte und mir daher eine Art Rundfahrt durch Rüdesheim verschaffte. Drei Passanten später traf ich an einem Kiosk den nächsten Einheimischen, der zwar betrunken war, aber nüchtern genug um mir den richtigen Weg zu weisen.
Ich kam exakt zwei Minuten zu spät, nachdem ich einen schattigen Parkplatz im Halteverbot ergattert hatte.
Bevor ich ein Navigationsgerät hatte, fuhr ich immer nach einem Plan, den ich mir zuvor von einem der Routenfinder ausgedruckt hatte. Ich fand es immer lästig, nach Plan und mit selbigem in der Hand, zu fahren. Bis heute.
Im Büro zurück gibt es eine neue Arbeitsanweisung: ab sofort werden nicht nur Terminszettel ausgedruckt, sondern auch wieder Zettel mit Routen zum Zielort falls die Frau im Navi mal wieder einen Sonnenstich hat.
2 Kommentare:
1. In den 70ern kam der Taschenrechner, ich verlernte das Kopfrechnen.
2. In den 80ern kam der Computer und das Internet, ich verlernte das Lesen
3. Ende der 90er kam das Navi, ich verlernte das Stadtplanlesen
Grumpf (das ist von Dagobert und Co, das kenne ich noch)
Ja, es ist recht schwierig für einen Teil der Bevölkerung ein Navi zu programmieren und auf den aktuellen Stand zu halten. Aber es soll ja noch Schilder in manchen Städten geben, die den Weg zum Gericht weisen.
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