Samstag, 17. Juli 2010

Sachrüge - vergissmeinnicht!

Der Kollege Burhoff weist hier darauf hin, dass es Verteidiger gibt, die im Rahmen des Revisionsverfahrens die Sachrüge nicht erheben, obwohl der Satz "Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts" rasch diktiert und fast ebenso rasch selbst getippt ist.

Als ich seinen Blogbeitrag las, dachte ich zunächst, dass das ja wohl nicht wahr sein darf. Selbst ein Kollege Schönwetter sollte das noch hinbekommen.

Tatsächlich aber gibt es eine Reihe von Entscheidungen, auf die der Kollege hinweist, die exakt diesen Fehler zum Gegenstand haben.

Für die mitlesenden Nichtjuristen: in der Revisionsinstanz wird das Urteil auf Rechtsfehler hin überprüft. Diese Rechtsfehler können formeller oder materieller Natur sein. Formeller Natur sind sie z.B. dann, wenn das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt war, die Grundsätze über die Öffentlichkeit nicht eingehalten wurden oder wenn etwa ohne Verteidiger verhandelt wurde, obwohl dem Angeklagten ein Verteidiger hätte beigeordnet werden müssen.

Materielle Fehler können darin bestehen, dass Fehler in der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts stattgefunden haben oder aber dem Gericht bei der Strafzumessung ein Lapsus unterlaufen ist. Alles, was nicht formell fehlerhaft war, ist materiellrechtlich unter die Lupe zu nehmen und da sind die Damen und Herren der Revisionsgerichte sehr genau.

Sämtliche formellen Fehler muss man haarklein darlegen und begründen. Das ist es, was Revisionen sehr aufwändig macht.

Jeder Verteidiger hat es sicher schon einmal erlebt, dass er seitenweise formelle Fehler gerügt hat, ohne dass das Revisionsgericht auch nur einen davon als solchen gewertet hätte und trotzdem wurde das Urteil wegen eines materiellen Fehlers aufgehoben.

Das Schöne an diesen materiellen Fehlern ist, dass man sich ihretwegen nicht die Finger wundtippen muss, sondern dass der eingangs erwähnte kurze Satz reicht, damit das Revisionsgericht das Urteil materiell filettiert. Selbstverständlich darf man begründen, worin man die materiellen Fehler meint zu erkennen, aber man muss es eben nicht.

Die Sachrüge darf also niemals vergessen werden, selbst dann nicht, wenn man meint, dass das Urteil keine materiellen Fehler enthält. 2 Verteidigeraugen sehen bekanntlich weniger als 10 Senatsrichteraugen.

4 Kommentare:

Detlef Burhoff hat gesagt…

Hallo, wollen Sie mal eine Fortbildung machen? Das haben Sie sehr schön erklärt, das versteht auch "Schönwetter".
Beim OLG sind es übrigens nur sechs "Senatsrichteraugen".

Im Übrigen ist die Rechtsprechung des BGH "voll" von solchen Revisionen.

Anonym hat gesagt…

Wo ist "hier"?

Ein Staatsanwalt hat gesagt…

Das Revisionsrecht scheint einigen Anwälten (ich sage hier bewusst nicht Strafverteidigern) ohnehin erschreckend fremd zu sein.

Neulich durfte ich beispielsweise eine Revision vorlegen, die ein Anwalt - erster (und grundlegendster) Fehler - gegen ein Berufungsurteil einer kleinen Jugendkammer eingelegt hat, ohne dass er - zweiter Fehler - Revisionsanträge gestellt hätte oder - dritter Fehler - *irgendeine* Rüge erhoben oder sonstige Begründung für seine Revision zu Papier gebracht hätte.

Auf Anfragen, ob er diese Revision nicht doch lieber zurücknehmen möchte, reagierte er dann mit einem Fristverlängerungsgesuch.

Von Dingen, von denen man keine Ahnung hat, sollte man einfach die Finger lassen.

skugga hat gesagt…

... und wenn man eine Refa hat, die die ersten 12 Jahre ihrer Berufstätigkeit bei Strafverteidigern gearbeitet hat und nicht der Meinung ist, dass man diese wegen eigenständigen Denkens anpflaumen sollte, dann wird diese Refa den Satz ergänzen (und selbstverständlich per Post-It auf die Ergänzung hinweisen, soviel Zeit muss dann doch auch sein).