Montag, 5. Oktober 2015

Ein Quäntchen Sorgfalt - zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln

Zwischen dem pensionierten Amtsrichter S. und mir bestand seit jeher ein Spannungsverhältnis. Ihm gefiel meine Art zu verteidigen nicht, mir gefiel seine bisweilen eigenwillige Auslegung der StPO nicht.

Eines der letzten Verfahren, das er zu betreuen hatte, war mit mir als Verteidigerin besetzt. Es ging darum, dass mein Mandant sage und schreibe 0,06 Gramm Haschisch sowie 0,2 Gramm Heroin in Besitz gehabt haben soll. Ein solches Verfahren hätte man normalerweise der einzig richtigen Erledigungsart, nämlich der Einstellung, zugeführt, wenn man nicht Richter S. gewesen wäre, der die Anklage wegen dieses kapitalen Delikts (zum Schöffengericht!) zugelassen hatte. Kurz zuvor war mein Mandant wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden, so dass der Besitz des Rauschgiftes angesichts dieser Strafe nun wirklich nicht weiter ins Gewicht fiel. Für derartige Fällt sieht das Gesetz die Einstellung nach § 154 StPO vor und so regte ich am ersten Hauptverhandlungstag in einem Vorgespräch an, hiernach zu verfahren. Richter S. hatte hingegen andere Pläne und so verhandelten wir zur Sache. Da er - langjähriger Übung Rechnung tragend - keine Zeugen geladen hatte, musste die Sache vertagt werden.

Beim nächsten Termin regte ich erneut die Einstellung an. Wieder erfolglos. Im Termin ließ sich mein Mandant teilgeständig zur Sache ein. Mein Mandant wurde zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Ich sah der Rechtsmittelinstanz gelassen entgegen, denn Richter S. hatte im Urteil keinerlei Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel getroffen, was zum ganz kleinen Einmaleins des Richters gehört. Ich riet also meinem Mandanten dazu, die Berufungsinstanz zu überspringen und Sprungrevision einzulegen. Das Rechtsmittel der Sprungrevision nutzt man dann, wenn das Amtsgericht einen so eklatanten Fehler gemacht hat, dass es dumm wäre, diesen von der nächsten Tatsacheninstanz, dem Landgericht, ausbügeln zu lassen.

Es dauerte nicht lange und das Oberlandesgericht K. bescheinigte Richter S., dass es nicht verkehrt gewesen wäre, ein wenig mehr Sorgfalt walten zu lassen.

Dies hört sich dann übrigens so an:

"Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die Feststellungen lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht hinreichend erkennen, da jeweils Ausführungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel fehlen (...) Der Tatrichter hat entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht möglich ist, darf der Tatrichter den Wirkstoffgehalt nicht offen lassen." 

Die Sache wurde an eine andere Abteilung des Schöffengerichts zurückverwiesen. Dort liegt sie nun und wartet darauf, dass sich der Nachfolger von Richter S. ihrer annimmt. Ich werde mal wieder im Vorfeld versuchen, das Verfahren einstellen zu lassen.



2 Kommentare:

WPR_bei_WBS hat gesagt…

"[...] und wartet darauf, dass sich der Nachfolger von Richter S. ihrer annimmt."

Würde denn (ohne Pensionierung) an den gleichen Richter zurück verwiesen werden?

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

Nach dem Tenor an eine andere Abteilung des Amtsgerichts als Schöffengericht. Richter S. hätte es auch ohne Pensionierung nicht getroffen und auch nicht treffen dürfen.