Montag, 6. September 2010

Der aufgebundene Bär

Der Kollege Feltus beschreibt hier, dass es dumm sei von einem Beschuldigten, seinen Anwalt anzulügen, auch wenn es um Fragen nach weiteren anhängigen Verfahren geht.

Mir fällt dazu ein: wer viel fragt, bekommt viele Antworten (deren Richtigkeit auf einem anderen Blatt steht).

Ich handhabe es meist so, dass ich zum Vorwurf wenig bis gar nichts frage, sondern mir erstmal die Akte kommen lasse. Wenn ich dann die Wahrheit kenne, die sich aus der Akte ergibt, darf der Mandant mir freilich seine Wahrheit erzählen und dann sehen wir, ob sich diese mit den Ermittlungen in Übereinklang bringen lässt oder nicht. Was nützt dem Verteidiger eine blumige Geschichte des Mandanten, wonach dieser nie am Tatort gewesen sein will, wenn er kurze Zeit später entsprechendes Bildmaterial der Akte entnimmt? Lange Gespräche ohne Kenntnis des Akteninhalts sind meist Zeitverschwendung für alle Beteiligten.

Ähnlich ist das mit Vorstrafen, offenen Bewährungen und weiteren anhängigen Sachen. Ich hatte schon einige Mandanten, die die Frage nach Vorstrafen verneinten, aus deren Akte sich dann aber sogar eine offene Bewährung ergab. Ich denke übrigens nicht, dass man mich bewusst belogen hat, sondern vielmehr, dass der eine oder andere schon mal den Überblick verloren hat und vielleicht unter den Begriff der "Vorstrafe" etwas fasst, das mit einer Verbüßung in der JVA einherging.

Ein Blick in die Akte kann den aufgebundenen Bären also wirksam verhindern, vor allem dann, wenn man - wie es der Kollege beschreibt - sich die Akte vor Beginn der Hauptverhandlung nochmal zur Einsicht kommen lässt.

8 Kommentare:

Tobias Feltus hat gesagt…

In der Tat, wer viel fragt, bekommt viele Antworten. Ich hatte aber nur eine Frage, nämlich ob noch was vorgefallen sei und daran hätte er sich eigentlich noch erinnern können.
Aber gut, jeder muss wissen was er sagt und tut.

kj hat gesagt…

Ich weiß nicht ob es immer so klug ist, wenn der Anwalt die Wahrheit kennt, dann kann der Anwalt nicht mit gutem Gewissen fragen, ob es so oder so war, wenn die Wahrheit so ist, wäre es günstig, wenn die Wahrheit so ist, wäre das ungünstig.
Letztlich kommt es doch nicht auf die Wahrheit an, sondern was bewiesen werden kann. Als Angeklagter hat man doch im Unterschied zum restlichen Leben das moralische Recht auf eine Lügengeschichten, nur der Anwalt bekommt vielleicht Schwierigkeiten, wenn er den Mandanten unterstützt.
Daher kann es manchmal besser sein, wenn der Anwalt nicht die ganze Wahrheit kennt.

Waldbaer hat gesagt…

Jetzt möchte ich mal ganz blöd was fragen:
Kann es in irgendeiner auch nur theoretisch denkbaren Situation vernünftig sein, seinem Anwalt etwas zu verschweigen?
Z.B. wenn etwas noch nicht in den Akten steht?
Wenn nein, was motiviert Leute dazu, so etwas zu tun?
Projektion: "Mir kann man nicht vertrauen, und ich kann mir nicht vorstellen, jemand anderem zu trauen."?
Oder Angst? Kopfindensandstecken? "Wenn ich nix sage, kann es nur besser werden?"
Oder die dritte Möglichkeit, die mir grad einfällt?

Freundliche und grübelnde Grüße vom, jetzt nicht mehr anonym schreibenden, denn das kommt wohl nicht so gut an,
Waldbaer

Anonym hat gesagt…

Dem Mandanten wird eine sehr heftige gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er ist mehr der intellektuelle Typ: Hager, randlose Brille, wohlfrisiert, gut gekleidet. Ob ihm schon einmal der Vorwurf gewalttätigen Auftretens gemacht worden sei, wollte ich beim Erstgespräch wissen. Er verneinte eloquent. Ich war geneigt, ihm zu glauben. Der BZR-Auszug in der wenige Tage später eintrudelnden Akte ergab: vier Vorstrafen. Gleich als erstes (!) eine 6-jährige Freiheitsstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung. Kann bei dem Strafmaß kein verzeihlicher Ausrutscher gewesen sein... Frau Rüber hat Recht: traue niemals einem Mandanten... :-)

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@kj: Ich bin davon überzeugt, dass die wenigstens Prozesse die objektive Wahrheit zutage fördern. Eine glaubhafte Version ist bisweilen besser als eine Wahrheit, die nicht geglaubt wird.
@waldbaer: Die Vernunftfrage stellt sich nicht. Ein Verteidiger, der die Akte kennt, wird selten Überraschungen erleben; schon gar nicht solche, mit denen er prozessual nicht umzugehen wüsste. Welche Motivation hinter einem Verschweigen gewichtiger Tatsachen steht, kann am Besten der jeweilige Beschuldigte sagen. Ich vermute mal, dass es vielfach Scham ist, die die Leute antreibt, eine Vorstrafe zu verschweigen. Scham gepaart mit Unwissenheit (etwa darüber, dass sich die Vorstrafe ohnehin aus dem Registerauszug ergibt, der der Akte stets beigefügt ist).

RA Müller hat gesagt…

Auch Aktenkenntnis hindert Überraschungen leider nicht.

So mag etwa die StA mit einem Auszug aus dem aktuellen Verfahrensregister auftrumpfen, welches der Akte nicht zu entnehmen ist.

Auch Parallelverfahren finden in Strafakten häufig keine Erwähnung, werden dann aber plötzlich Thema in der Verhandlung.

Ein seinem Anwalt gegenüber ehrlicher Mandant führt meines Erachtens immer besser als ein unehrlicher. Der Strafverteidiger, der seinen Mandanten schlechter verteidigt, weil er ihm "die Wahrheit" erzählt hat, hat seinen Beruf verfehlt.

RA Will hat gesagt…

Vorstrafen und/oder weitere Verfahren hat mir bis dato noch kein Mandant verschwiegen.
Manche wissen es halt einfach nicht bzw. können sich nicht mehr genau erinnern.
Typischerweise wird natürlich in Bewährungssachen die Bewährungszeit mit der Strafe verwechselt. "Ich hab drei jahre auf Bewährung bekommen...".

Bei gewissen Mandanten mache ich gewohnheitsgemäß sowieso eine Abfrage bei der Zentraldatei der Sta. So verhindert man, dass in anderen Verfahren irgendwelche Pflichtverteidigger beigeordnet werden und kann die Sachen gegebenenfalls etwas bündeln.

Die wirkliche Wahrheit liegt oft dermaßen jenseit dessen, was sich ein Richter vorstellen kann und ist auch oft dermaßen unlogisch und unglaubwürdig, dass wirklich eine glaubhafte "prozessuale Wahrheit" mehr Sinn macht...

Waldbaer hat gesagt…

Den Kommentaren hier zufolge kann ich nun wohl annehmen, daß sich jemand selber einen Bärendienst erweist, wer seinem Strafverteidiger einen Bären aufbindet.

Zum "Bärendienst" hab ich was lustiges gefunden, und passt irgendwie (wusste ich vorher auch nicht):
http://de.wikipedia.org/wiki/Bärendienst

Weniger lustig wird es, wenn man nach "einen Bären aufbinden" googelt - da geht es wohl um übertriebene Schilderungen von Jägern usw. Interessant fand ich die Brücke zu dem Spruch, "einen Floh ins Ohr setzen".

Viele Grüße vom
Waldbaer, der sich bei solchen Themen manchmal wünscht, damals einen anderen Nickname gewählt zu haben.
Obwohl - Wenn man sowas wie "Tigerentenkoalition" liest, ist Janosch dann doch ganz weit weg..