Donnerstag, 15. April 2010

Die Partyfrage

Der Kollege Leitner schreibt in der SZ einen Artikel über den Beruf des Strafverteidigers, der mit dem eröffnet wird, was unter Strafverteidigern als "Partyfrage" bekannt ist.

"Wie kannst du jemanden verteidigen, der ES gewesen ist?". Diese Frage, die jeder, der sich als Strafverteidiger outet, auf wirklich jeder Party gestellt bekommt, ist vergleichbar mit der Frage an einen Zahnarzt, der dieselbe Party besucht, von einem Gast, der mit dem Zeigefinger seine Wange nach hinten zieht :"If hab da waf am Fahn" - jedenfalls hinsichtlich der übergroßen Freude, die den Adressaten ob der jeweiligen Frage erfüllt. Während der Zahnarzt sich aber noch damit herausreden kann, dass er grade nicht die benötigten Instrumente für eine verlässliche Diagnose am Mann hat, wie etwa ein Röntgengerät, ist es für den Strafverteidiger nicht möglich, einfach so die Auskunft zu verweigern, es sei denn, er legt gesteigerten Wert darauf, als muffig zu gelten.

Also erklärt er in der Regel das, was eigentlich aus dem Sozialkundeunterricht (Stichwort: Rechtsstaat) bekannt sein müsste, garniert das ganze mit Anekdoten aus der Praxis um zu guter Letzt die Frage zu stellen, ob der Fragende eigentlich selbst schon mal zumindest einen Bußgeldbescheid zu Unrecht erhalten hat.

Da nahezu jeder schon mal ein Knöllchen kassiert hat und das als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfand, kann man hier ganz gut die Kurve kriegen und vielleicht doch noch davon überzeugen, dass Verteidigung mehr als nur ein notwendiges Übel ist, das ein Rechtsstaat verkraften muss. Für diesen Fall hat man Glück gehabt und wird für den Rest des Abends in Ruhe gelassen.

Hat man es hingegen mit jemandem zu tun, der nicht mal bei Rot über die Ampel geht, ist die Stunde bereits fortgeschritten und hat der genossene Alkohol bei den Anwesenden bereits zur Enthemmtheit beigetragen und sind dann auch noch Verfechter der Todesstrafe anwesend, wird es für den Strafverteidiger ungemütlich. Es zeigt sich dann, dass der von den Anwesenden genossene Sozialkundeunterricht schon Lichtjahre (besser: viele siderische Jahre, vgl. Kommentar zu diesem Post) her sein muss und die Zugänglichkeit für Argumente (wie e.g. die von Leitner genannten) nimmt nicht nur linear, sondern exponentiell ab. Der Strafverteidiger gerät ins Grübeln, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, den "Muffigstempel" verpasst bekommen zu haben und sieht sich in Gedanken schon beim Zahnarzt, weil er insgeheim fürchtet, angegriffen zu werden und dabei einen Teil seiner Beisserchen einzubüßen.

Aber: Glück im Unglück - für diesen Fall könnte er sich ja direkt an den die Party besuchenden Zahnarzt wenden: "If hab da waf..."

14 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Also, ich habe meinen Anwalt vor vielen Jahren mal gefragt, ob er mich verteidigen würde, wenn ich mal eine Bank überfallen würde.
Er sagte, ja....haben Sie denn so etwas vor? Grins

Mittlerweile macht er fast nur noch Arbeitsgerichtsverfahren.
Er will keine Mörder verteidigen, mag er nicht.

Matthias hat gesagt…

Dass Juristen nicht rechnen können ist ja hinlänglich bekannt, aber das Strafverteidiger Strecke (Lichtjahre: Die Strecke, die das Licht in x Jahren zurücklegt) mit Zeit vermischen kann nur daran liegen, dass sie einen unschuldigen zuviel verteidigt haben.

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Matthias: So haben wir eben alle unsere Schwächen. Ich kann Zeit und Strecke nicht auseinanderhalten, Sie haben Probleme mit Rechtschreibung und Zeichensetzung.
Trotzdem besten Dank für den freundlichen Hinweis. Ich hab´s gerade bei Wikipedia nachgelesen und bin dort auf das siderische Jahr gestoßen, das eine Zeitspanne zum Gegenstand hat.

RA Munzinger hat gesagt…

"Mörder verteidigen":
Das geht juristisch gesehen gar nicht, da jeder Täter bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt und die Verteidigung mit Rechtskraft des Strafurteils endet.

RA S. hat gesagt…

Nana. Ein Mörder ist ein Mörder, wenn er ein Mörder ist. Auch juristisch. Das hat mit der Unschuldsvermutung gar nichts zu tun, sondern mit der Tatbestandsverwirklichung. Dies macht ein Mörder in der Regel _vor_ dem Ermittlungsvervahren, damit _vor_ der Verteidigung des (juristischen und tatsächlichen) Mörders.

RA Munzinger hat gesagt…

Aber genau das steht eben erst nach dem Urteil fest. Einigen wir uns doch ganz einfach auf "mutmaßlicher Mörder"

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

Wie schön. Ein Vergleichsvorschlag!

Anonym hat gesagt…

Natürlich kann man Mörder verteidigen: im Strafvollstreckungsverfahren. Oder wenn er in oder nach der Haft wieder straffällig wird. Ein Mörder bleibt immer ein Mörder. Weshalb aber sind dann RAF-Terroristen immer "ehemalige Terroristen"?

Anonym hat gesagt…

[Rabulistik] Natürlich kann man einen Mörder verteidigen, zB wegen einer anderen Tat. [/Rabulistik]

Lars Klenk hat gesagt…

Man kann keinen Mörder verteidigen, weil wir entgegen dem (uralten) § 211 ein Tatstrafrecht (wer einen anderen ermordet...) und kein Täterstrafrecht (der Mörder) haben.

Matthias hat gesagt…

Auch wenn ich mir jetzt wieder eine wegens die Rechtschreibulierung einfange: @Munzinger: Ich hab mal gelesen, dass eine Pflichtverteidigung sogar noch für das nachfolgende Wiederaufnahmeverfahren gelten soll, hat mal der BGH beschlossen.
Wie ist das mit einem Mörder im Wiederaufnahmeverfahren? Ist der dann mutmaßlich unschuldig, solange die Wiederaufnahme nicht abgeschmettert ist?
Fragen über Fragen und dazu noch diese Rechtschreibung.

Simon hat gesagt…

Der Kommentar von Herrn Munzinger zeigt dann doch ganz gut, mit welcher Hybris viele Strafverteidiger zu Werke gehen müssen, um eine vernünftige Antwort auf die "Partyfrage" hinzubekommen. Viele antworten ja auch plakativ: "Selbst der schlimmste Kinderschänder hat noch einen Verteidiger verdient."

Das mag sicherlich richtig sein. (Daran hatte ich vor der Strafstation keinen Zweifel und danach erst Recht nicht mehr.) Aber - was für einen Verteidiger? Ist es moralisch korrekt, auch die Rechtslücken zugunsten des Täters noch auszunutzen? Je besser ein Strafverteidiger seinen Job macht, desto weniger Straftäter werden verurteilt. (Und nein: Ein Straftäter ist Straftäter, auch bevor er verurteilt wurde. Die Unschuldsvermutung heißt so, weil sie eine Vermutung ist.)

Ich habe als Student mal in einem großen strafrechtlichen Mandat mitgearbeitet (Mord) und danach entschieden, dass ich nicht Strafverteidiger werden möchte. Die Frage, ob der Mörder einen Verteidiger braucht, konnte ich noch leicht beantworten. Aber die vielen, kleinen und großen Fragen, die sich im Verlauf der Verteidigung gestellt haben, konnte ich für mich nicht zufriedenstellend lösen.

doppelfish hat gesagt…

Was den Medizinern hier häufig aus der Patsche hilft - und was die Juristen nicht bringen können - ist der Spruch "kein Problem, machense sich mal frei".

Es sei denn, die Party ist richtig weit, äh, fortgeschritten.

Anonym hat gesagt…

@Simon

Das ist noch kein exklusives Problem der Strafverteidigung. Wenn ich in einer Zivilsache für einen Mandanten den eigentlich berechtigten Anspruch der Gegenseite - vielleicht eine arme Oma oder ein ehrlicher Handwerker - unter Anwendung aller erlaubten rechtlichen Tricks abwehre, mache ich nichts anderes.

Parteilichkeit und die Verpflichtung, das Beste für den Mandanten herauszuholen, ist nun einmal die Aufgabe des Anwalts. Wer sich nur die Fälle herauspicken will, die ethisch, moralisch und rechtlich über jeden Zweifel erhaben sind, kann seine Kanzlei bald schließen.