Donnerstag, 16. Oktober 2014

Wider das Kusch(el)verfahren - Wenn die StPO den Amtsrichter stört

Amtsrichter, die ihren Posten schon länger bekleiden, haben die Angewohnheit, Eigenheiten zu entwickeln, die im Gesetz keine Stütze finden.

Ein Beispiel hierfür durfte ich unlängst beim Schöffengericht D. erleben. Der ergraute Spruchkörper , der mit seinen tapferen Schöffen über mehrere Angeklagte zu richten hatte, denen gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung vorgeworfen worden war, hatte so seine ganz eigenen Vorstellungen vom Verfahren.

Ein wenig ungewöhnlich, aber nicht ungern saß ich mit zwei Kolleginnen in der Nebenklage. Unsere Mandanten hatten ziemlich einstecken müssen und hatten teils erhebliche Verletzungen davon getragen.

Damit man sich nun nicht im Anschluss an ein Strafverfahren in einem Verfahren vor den Zivilgerichten um Schmerzensgeld streiten muss, sieht die StPO vor, dass Verletzte einer Straftat im sog. Adhäsionsverfahren ihre Ansprüche geltend machen können und der Strafrichter schon im Strafurteil ein Schmerzensgeld ausspricht. Das Adhäsionsverfahren dient damit dem Opferschutz.

Im Vergleich zu anderen Verfahrensvorschriften ist das Adhäsionsverfahren relativ neu. Erst seit 1986 sieht es die StPO vor, dass zivilrechtliche Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens geltend gemacht werden können, reformiert wurden die Bestimmungen zuletzt in 2004.

Doch zurück zum Fall: meine Ankündigung, nach Schluss der Beweisaufnahme einen Adhäsionsantrag stellen zu wollen, quittiert der Vorsitzende mit den Worten: "Sie wissen doch sicher, dass Richter Adhäsionsanträge nicht mögen?!"
Klar weiß ich das. Wer schon länger dort sitzt wo er sitzt, für den ist das Adhäsionsverfahren neumodisches Zeug, vergleichbar mit Ottomotoren und Frauenwahlrecht. Jüngere Richter haben mit Adhäsionsanträgen übrigens regelmäßig keine Probleme.

Ich verklickere ihm also, dass es nicht darauf ankommt, ob er Adhäsionsanträge mag oder nicht, solange die Verfahrensordnung sie vorsieht. Er ist nicht begeistert und versucht es damit, dass man als Strafrichter ja keine Ahnung habe, welche Verletzung welche Schmerzensgeldhöhe rechtfertige. Dieses Argument höre ich auch nicht zum ersten Mal, was nichts an seiner Unbeachtlichkeit ändert. Auch beim Zivilgericht zitiert man in der Regel vergleichbare Entscheidungen, die sich auch zur Höhe des Schmerzensgeldes verhalten.

Sein Gezeter hilft ihm nichts. Ich stelle den Antrag, den er sichtlich genervt entgegen nimmt und gebe kund, dass ich nicht gewillt sei, sein "Landrecht" zu unterstützen und er sich rechter an die StPO gehalten sehen solle. Der Mann ist hellauf begeistert. Das ist ihm deutlich anzusehen. Die Vorstellung, sich mit einer ungeliebten Materie auseinandersetzen zu müssen, ist zwanglos geeignet, ihm nachhaltig den Tag zu verderben.

Der Angeklagte wurde auf meinen Antrag hin verurteilt, ein Schmerzensgeld an meinen Mandanten zu zahlen.

Dass sich Jahrzehnte nach Einführung des Adhäsionsverfahrens noch immer Richter wagen, Anwälte dazu zu bewegen, solche Anträge nicht zu stellen, lässt Rückschlüsse auf die Arbeit von Nebenklagevertretern zu. Nicht nur die Verteidigung mutmaßlicher Täter ist eine ernste Angelegenheit, sondern auch die Vertretung mutmaßlicher Opfer und auch als "Opferanwalt" darf man nicht entgegen den Interessen des Mandanten in Kuschellaune verfallen. Strafprozessen wohnt nun einmal nicht die Eigenart inne, dass die daran Beteiligten Freundschaft miteinander schließen.

Die StPO sieht Adhäsionsverfahren vor; Kusch(el)verfahren kennt sie nicht.

   

5 Kommentare:

Andreas Neuber hat gesagt…

Leider - so meine Erfahrung- erhält man beim Strafrichter deutlich weniger Schmerzensgeld und/oder Schadensersatz als beim Zivilrichter.

Gast hat gesagt…

Das ist ja mal eine mutige Tat: einen Antrag stellen, von dem der Richter "nicht gerade hellauf begeistert ist". Hat er nicht wenigstens gedroht, Sie auf der Stelle verhaften zu lassen, wenn Sie diesen Antrag stellen?

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Andreas Neuber: Das kann ich so nicht bestätigen. Wenn man in der Begründung des Antrages vergleichbare Entscheidungen zitiert, sind die Richter idR dankbar und nehmen diese als Grundlage. Es spricht aber noch mehr für das Adhäsionsverfahren: das geringere Kostenrisiko für den Mandanten und der Umstand, dass der Mandant einem Zeugen gleichzusetzen ist, wohingegen er im Zivilprozess "nur" Partei ist. Vorschlag: beantragen Sie beim nächsten Mal nur eine Grundentscheidung und streiten Sie danach beim Zivilgericht um die Höhe des Schmerzensgeldes.

RA Müller hat gesagt…

Es ist sicherlich wünschenswert, wenn Strafrichter "unliebsamen" Adhäsionsanträge nicht mit unterdurchschnittlichen Schmerzensgeldbeträgen begegnen. Ich habe indes den Eindruck, daß die Realität anders aussieht. Insoweit stimme ich dem Eindruck von Herrn Neuber zu.

Zudem wird in Strafsachen bei der Zumessung des Schmerzensgelds verstärkt auf die (häufig eingeschränkte) finanzielle Leistungsfähigkeit des Angeklagten abgestellt. In Zivilsachen spielt dieser Umstand idR keine Rolle.

Selbst wenn man dann in der Strafsache nur ein Grundurteil erhält, hat man dem Mandanten ggf. keinen zweiten Prozeß erspart.

Nach alledem stelle ich zwar auch gelegentlich Adhäsionsanträge, weise den Mandanten vorher aber auf die obigen Gesichtspunkte hin, die das Adhäsionsverfahren (zusätzlich zu der grundsätzlichen Abneigung vieler Strafrichter, sich damit zu befassen) bisweilen in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen.

Anonym hat gesagt…

Es ist aber auch kein Garant für eine richtige und einigermaßen sorgfältig begründete Entscheidung und daher auch nicht erfreulich, den Adhäsionsantrag erst in der HV anzukündigen für den Schluss der Beweisaufnahme (auch wenn das Gesetz das zulässt). Abgesehen davon, dass bei einer späten Antragstellung das rechtliche Gehör des Beschuldigten uU verkürzt wird bzw. man bei nicht verteidigten Angeklagten (falls es nicht schon wegen der Nebenklage geschehen ist) bei Adhäsionsanträgen durchaus auch an eine Pflichtverteidigerbestellung denken müsste. Auch wenn ein Strafrichter (ggf.)entscheiden muss, sollte seine Entscheidung nicht auf den "vergleichbaren Entscheidungen" basieren. Nach ständiger obergerichtlicher RSpr gerade in Zivilsachen sind diese "Vergleichbaren Entscheidungen" und Schmerzensgeldtabellen nichts anderes als ein grober Anhalt und korrekterweise hat der Richter eine Gesamtwürdigung verschiedener Umstände vorzunehmen.
Ich habe kein generelles Problem mit dem Adhäsionsverfahren; wenn man aber sieht, wie in einem Zivilverfahren die Fristen üblicherweise aussehen und berücksichtigt, dass der Verletzte mit seiner Zeugenstellung im Strafverfahren gegenüber einem Zivilverfahre meist beweislastmäßig etwas privilegiert wird hielte ich es für sachgerecht, dass der Adhäsionsantrag spätestens zwei Wochen vor der Hauptverhandlung auch dem Angeklagten (dann im Parteibetrieb) zugestellt sein muss. Auch der PKH-Antrag in der Hauptverhandlung, bei dem dann hinten und vorne sämtliche Belege für die Bedürftigkeit fehlen, ist meist wenig hilfreich.