Kürzlich fragte mich ein Bekannter, wie denn Strafverteidigung in Pandemiezeiten so funktioniere.
Soviel vorweg - es funktioniert. Irgendwie. Die konkrete Ausgestaltung dieses "Wie" ist uneinheitlich.
Viele Gerichte heben Termine in nicht eilbedürftigen Sachen von Amts wegen auf, andere, wie beispielsweise das Amts- und Landgericht Koblenz lassen Termine auch in Nichthaftsachen bestehen. Die Gerichte treffen Vorkehrungen in Gestalt von Plexiglasscheiben, geöffneten Fenstern und Ventilatoren, die das subjektive Sicherheitsgefühl stärken bei ansonsten für mich unklarer objektiver Präventivwirkung und es gibt bei jedem Gericht Einlasskontrollen. Die Richter gehen unterschiedlich mit der Situation um. Manche sitzen mit FFP2-Maske hinter der Plexiglasscheibe, andere verhandeln ohne Masken in größeren Sälen mit reichlich Abstand zu den übrigen Prozessbeteiligten. Als Verteidiger steht es einem in der Regel frei, sowohl mit Maske als auch mit Winterjacke oder Heizweste unter der Robe zu verhandeln. Alles in Allem lässt man Vorsicht walten.
Dennoch gibt es Ausreißer. Ein Beispiel von herausragender Unbekümmertheit begegnete mir kurz von Lockdown Nr. 2 bei einem Jugendschöffengericht. Mein Mandant war angeklagt wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung und gefährlicher Körperverletzung. Der Vorfall sollte sich vor drei Jahren ereignet haben. Der geneigte Leser erkennt: keine Haftsache, ergo keine Eilbedürftigkeit. Die Richterin hatte zunächst drei Hauptverhandlungstage angesetzt um das Geschehen aufzuklären. Gleich am ersten Tag staunte ich bereits ob der Größe des Sitzungssaales, der für Einzelrichtersachen tauglich war, ganz gewiss aber nicht für Schöffensachen. Zu Beginn der Hauptverhandlung hielten sich insgesamt 11 Personen im Saal auf (Richterin, 2 Schöffen, Protokollführer, Staatsanwalt, Vertreter der Jugendgerichtshilfe, Verteidigung, Angeklagter, drei Zuschauer), womit es recht kuschelig war. Immerhin hatten mein Mandant und ich den Fensterplatz erwischt; die Maske behielt ich auf.
Eingangs der Verhandlung verkündete die zu diesem Zeitpunkt noch gut gelaunte Vorsitzende, der Zeuge A. könne heute nicht erscheinen, er habe "Fieber und so" und das Ergebnis des Coronatests sei frühestens am Folgetag zu erwarten. Seine Lebensgefährtin, die ebenfalls für heute geladen sei, bringe praktischerweise das ihren Liebsten betreffende ärztliche Attest für ihre auf 11 Uhr angesetzte Vernehmung mit. Falls einer der Anwesenden bis dahin noch ein wenig schläfrig war, wachte er durch das sich anschließende Wortgefecht zwischen der Vorsitzenden und mir auf. Mein Einwand, dass ich nicht bereit sei, mit einer Person in einem Raum zu sein, deren Lebenspartner Symptome einer Infektion aufweise, die ich mir ungern einfangen würde, wurde mit einem schnippischen "Wir wissen doch gar nicht, ob er Corona hat. Das Testergebnis ist doch noch gar nicht da!", quittiert.
Ich denke, sie erwartete kein "Ach so, nee, ist klar, dann können wir ja loslegen", jedenfalls war sie von meinem Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Vorbereitung eines Antrages nicht überrascht und gab dem Antrag statt.
Bevor ich zum Füller griff, griff ich erstmal zum Handy und rief die Wachtmeisterei an. Dem freundlichen Justizwachtmeister sagte ich, dass gegen 11 Uhr die Zeugin B. komme, deren Lebensgefährte unter Coronaverdacht stünde. Vielleicht sei dies ja für den ein oder anderen seiner Kollegen am Eingang von Interesse, die die Dame ja kontrollieren würden.
Was danach passierte, kann ich nur mutmaßen. Denkbar scheint, dass der Wachtmeister die Information weitergegeben hat an Personen, denen die Nonchalance mit dem Virus ebenso abgeht wie mir. Vielleicht haben auch die Schöffen Bedenken angemeldet, ich habe es nie erfahren. Noch während ich dabei war, meinen Antrag zu formulieren, erschien die Vorsitzende und verkündete, sie habe die Zeugin abgeladen und werde sie zu einem der anderen Termine erneut laden. Sie selbst habe zwar keine Bedenken wegen Corona, aber - genervte Tonlage - bitte sehr. Danke sehr für so viel Einsicht an einem noch jungen Morgen.
Das Verhandlungsklima im Folgenden unterschritt die von draußen hereinsträmende winterliche Luft, das Ergebnis hingegen erwärmte das Gemüt. Das Verfahren gegen meinen Mandanten wurde eingestellt.
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