Hahn in Ruh ist ein Jagdsignal. Wenn es erklingt, ist die Jagd beendet.
Seit gestern 14.03 Uhr ist das Verfahren gegen meinen Mandanten beendet. Die Jagd, die im März 2012 mit einem robusten SEK-Einsatz in seiner Wohnung begonnen und der sich 22 Monate Untersuchungshaft angeschlossen hatten, ist vorbei. Genau 7 Jahre und 15 Tage dauerte das gerichtliche Verfahren. Es endete mit einer Einstellung nach §153 Abs. 2 StPO. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen meines Mandanten trägt die Staatskasse.
Der Vergleich mit der Jagd drängt sich angesichts des ehrgeizigen Plans, den man mit dem Verfahren verfolgte, auf. Kurz nach den 26 Verhaftungen im März 2012 sprach der rheinland-pfälzische Innenminister Lewentz davon, das ABM “aufgebrochen“ zu haben. Mit “Stumpf und Stiel“ sollte “ausgerottet“ werden. Martialische Worte. Das Treiben hatte begonnen, 26 Beschuldigte waren gekesselt.
Die gut 900seitige Anklageschrift basierte auf dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung, deren Mitglieder Straftaten verabredet und durchgeführt haben sollten. Der Kitt der kriminellen Vereinigung führte dazu, dass einzelne Beschuldigte nicht losgelöst vom Vorwurf der angeblich kriminellen Vereinigung verurteilt werden konnten für Delikte, die sich nie im Bereich der Schwerkriminalität bewegten und bei isolierter Betrachtung allenfalls das Schöffengericht auf den Plan gerufen hätten. Dieses hätte die Vorwürfe dann in wenigen Hauptverhandlungstagen abgearbeitet und Entscheidungen zugeführt. Überlagert man indes Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung und findet dann noch ein Gericht, das diese Anklage eröffnet, dann ist das Anblasen entsprechend laut.
Dieses Verfahren wird Seinesgleichen suchen, aber nicht finden, formulierte es der damalige Vorsitzende der Staatsschutzkammer, unter dessen Ägide der Prozess am 20.8.2012 begonnen hatte.
Er sollte Recht behalten.
Die Angeklagten waren mit nur wenigen Ausnahmen - darunter diejenigen, die durch ihre Aussagen das Feld bereitet hatten - in Haft und schwiegen zu den Vorwürfen. Nun ist Schweigen für die meisten Beschuldigten, die auf freiem Fuß sind, schon keine ganz so einfache Sache, wenn sogenannte milde Strafen locken. Unter Einzelhaftbedingungen in Justizvollzugsanstalten, die den Quer- und Längsschnitt der Schwerstkriminalität beherbergen, braucht es ein gesteigertes Maß an Disziplin. Ein Angeklagter, der sehr unter der Haftsituation gelitten hatte, war nach über einem Jahr Untersuchungshaft den Verlockungen erlegen. Aussage gegen Freiheit, lautete der Deal. Hiervon angekirrt, sagte er aus und - blieb in U-Haft. Seine Aussage war nicht umfassend genug. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar, dass es keine Aussagen mehr geben würde.
Kleinschrittig wurde Bagatelldelikten nachgegangen, deren zugrundeliegende Ermittlungen sich nicht selten als lückenhaft erwiesen. Monatelang hörten wir die Mitschnitte der Telefonüberwachung, die eine Banalität nach der anderen offenbarten. Die Bestellung von Hosen mit “Rheinland“-Aufschrift beispielsweise und die damit einhergehende Diskussion, wie welches Beinkleid gemessen bei welcher Größe wohl ausfällt, hatte einen Lachkrampf nicht nur des Vorsitzenden zur Folge. Zwischendurch blieben zwei Schöffen auf der Strecke aufgrund von Nachlässigkeiten mit dem Mobiltelefon und unbotmäßigen Sympathiebekundungen gegenüber der Staatsanwaltschaft in Gestalt von Schokoladennikoläusen. Beide Vorfälle sind übrigens bis heute gern bemühte Prüfungsfälle in juristischen Staatsexamina.
Akribisch wurde die Aussage desjenigen Angeklagten, der bis kurz vor Ende des dritten Anlaufs nebst mehreren Zeugenschutzbeamten im Verfahren saß und eine neunmonatige Bewährungsstrafe kassierte, seziert und Widersprüche wurden herausgearbeitet.
Die Zeugen des ersten Durchgangs wären im Grunde einen eigenen Beitrag wert. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Biozönose der menschlichen Beweismittel vielfältiger kaum hätte sein können. Von stramm rechts über radikal links bis hin zu genderverwirrt war so ziemlich alles dabei.
Die Stimmung im ersten Durchgang war von Beginn an von einer harten Gangart geprägt. Auf der einen Seite eine Kammer, die die Anklage gegen 26 Angeklagte zugelassen hatte in dem Bestreben, möglichst rasch zum Ende zu kommen und auf der anderen Seite die große Zahl der schweigenden Angeklagten, flankiert von Verteidigern, die gar nicht daran dachten, auch nur einen Meter Boden dranzugeben.
Und so zog sich das Verfahren hin. Nachdem Anfang 2014 auch die letzten Angeklagten nach exakt 666 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden waren, vergingen fast 3 weitere Jahre bis die Kammer das Verfahren wegen überlanger Dauer im Mai 2017 einstellte und deren Vorsitzender im Juni 2017 in Pension ging.
Mit der Einstellung hätte es eine Art Burgfrieden geben können, aber der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das OLG statt und es wurde zu Runde 2 geblasen.
Dem Vorsitzenden der neuen Kammer, Vizepräsident des Landgerichts und politisch betrachtet weit entfernt von den Angeklagten als Mitglied einer ehemaligen Volkspartei, die auf eine Prozentmarke zusteuert, die man von H-Milch-Packungen kennt, oblag die Aufgabe, das waidwunde Verfahren abzufangen.
Der zweite Anlauf dauerte nur kurz. Diesmal scheiterte es an der Geschäftsverteilung.
Ende Februar diesen Jahres das dritte Halali. Leiser als im August 2012, ohne Parforce. Gleiche Kammer, gleicher Saal, 16 Angeklagte und von Beginn an die Ansage der Kammer, dass sie nicht gedenke, dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung nachzugehen. So heruntergefahren auf einzelne Delikte war schnell klar, dass hier mit dem pragmatischen Besen gekehrt werden sollte, zumal Presse und Öffentlichkeit nach dem “Scheitern“ des ersten Anlaufs weder mit Kritik noch mit Spott gespart und die Verfahrenskosten eine gesunde zweistellige Millionenhöhe erreicht hatten.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Ein Angeklagter nach dem anderen wurde abgetrennt und meist im Zuge eines Termins entweder abgeurteilt oder eingestellt, derweil die Beweisaufnahme eine Geschwindigkeit aufnahm, die man eingedenk des ersten Anlaufs nur als rasant bezeichnen kann. Bisweilen gelang es, mehrere Zeugen an einem Tag zu vernehmen. Je mehr man es sich als Verteidiger vorgenommen hatte, einen Zeugen ausgiebig zu befragen, desto spärlicher schien es um dessen Erinnerung bestellt. Die Kammer ging den Anträgen der Verteidigung bereitwillig nach. Auch das war neu. Dank dieser Vorgehensweise bin ich mir nach Einvernahme einer Kunstprofessorin einmal mehr sicher, dass ich für die Filigranitäten der Fluxuskunst zu grob gestrickt bin.
Der Vorsitzende, der bis dato nur beim Amtsgericht Strafsachen verhandelt hatte, verwaltete die Insolvenzmasse des Verfahrens mit beachtlichem Fingerspitzengefühl. Die Worte, die er nach Beendigung an jeden einzelnen Angeklagten richtete, klangen ehrlich. Sie waren geprägt von Bedauern ob der Länge des Verfahrens, von Kritik ob der Haft sowie dem Wunsch, dass es gelingen möge, einen Neuanfang ohne den Ballast des Verfahrens zu finden.
Mein Mandant, Bundesvorsitzender einer rechten Kleinstpartei, gehörte zu denjenigen Angeklagten, die während des Prozesses weiter politisch aktiv waren. Man mag die Richtung der Politik nicht gut finden, aber daran, dass man ihr seitens der Kammer keine Beachtung schenkte bei der Einordnung strafrechtlicher Sachverhalte, erkennt man die Stärke eines Rechtsstaats ebenso wie an Verteidigern, die bereit sind, auch lange Wege mit ihren Mandanten zurückzulegen. Wenn diese dann zu einem Ziel führen, für das man, hätte man es zu Beginn des Verfahrens als solches formuliert, ausgelacht worden wäre, dann weiß man, dass es richtig war, ihn zu beschreiten.
Für meinen Mandanten, meinen Mitverteidiger Werner Siebers und mich ging gestern ein solches Verfahren zu Ende. Es hat Seinesgleichen gesucht, aber nicht gefunden.
Der Vorsitzende formulierte: “Es ist vorbei und es ist gut, dass es vorbei ist.“
Hahn in Ruh.
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