Montag, 10. Februar 2014

Wir überprüfen Sprichwörter. Heute: Nicht die erste Instanz muss gewonnen werden, sondern die letzte

Ich habe keine Ahnung, wer Urheber dieses Sprichworts ist, das Anwälte gerne an ihre Mandanten nach verlorener Instanz weitergeben, zusammen mit der Empfehlung, ins Rechtsmittel zu gehen.

In einem juristisch denkbar einfachen Fall dachte ich anfangs, dass es nicht viel bedarf, um dem Amtsrichter beim AG M. klar zu machen, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage wegen Nötigung schwer auf dem juristischen Holzweg ist. Ich wurde eines Besseren belehrt und mein Mandant verurteilt.

Ich legte Berufung ein und beruhigte den Mandanten damit, dass beim Landgericht W. sicher ein Berufungsrichter sitzt, der imstande ist, einen unstreitigen Sachverhalt unter eine Norm zu subsumieren, die jeder Jurastudent spätestens im 3. Semester beherrscht. Da mir die Erinnerung an die Vorinstanz noch sehr präsent und das 3. Semester der Berufungsrichterin noch länger her war als meines, ging ich in meinem Plädoyer haarklein auf jedes einzelne Tatbestandsmerkmal ein. Im Grunde hätte die Frau Vorsitzende nur mitschreiben müssen um zu einem richtigen, freisprechenden Urteil zu gelangen. Sie schrieb nicht mit und - zack - verwarf die Berufung.

Mein Mandant und ich verstanden die Welt nicht mehr. Der Fall war klar, als Ergebnis konnte nur ein Freispruch rauskommen, nur weigerten sich Amts- und Landgericht, dies einzusehen.

Ich legte Revision ein. Das ging rasch, denn ich musste nur das, worauf ich in beiden Vorinstanzen vergeblich hingewiesen hatte, zu Papier bringen und hoffen, dass die Richter des Senats beim OLG D. den Stoff aus dem 3. Semester noch präsent hatten.

Sie hatten. Das Urteil des Landgerichts wurde nicht nur aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, sondern das OLG entschied durch und sprach meinen Mandanten frei. Besonders erfreulich fand ich die "Ohrfeige", die das OLG den beiden Vorinstanzen verpasste: "Die Feststellungen ergeben ZWEIFELSFREI, dass der Angeklagte sich nicht strafbar gemacht hat." Mein Reden.

Ergebnis: das Sprichwort stimmt.

6 Kommentare:

Gast hat gesagt…

So ist das aber wenig lehrreich. Um welchen schon mit strafrechtlichen Grundkenntnissen gerade nicht als Nötigung zu qualifizierenden Tatvorwurf ging es denn?

WPR_bei_WBS hat gesagt…

Das unglaubliche daran ist ja, dass mal mindestens drei professionelle Juristen (Staatsanwalt, Richter AG und Richterin LG) da entweder keinerlei Ahnung haben oder sich einfach nicht für die Rechtslage interessieren und aus weiß Gott für unstatthaften Gründen verurteilen wollten.

Klar, man kann immer anderer Meinung sein, es gibt so-oder-so Fälle und am Ende Entscheidet dann halt die höchste Instanz, ohne dass man unbedingt sagen könnte, die unterlegene Seite wäre komplett auf dem Holzweg gewesen:

Aaaaaber: Wenn das OLG schon dermaßen offen kundtut, was für einen Müll die Vorinstanzen entschieden haben, dann kann man wohl tatsächlich von "keinerlei Ahnung" oder "Veruteilungswillen" reden.

Das letzte mal habe ich (Laie) von so einer Watschen gehört, als das BVerfG im Falle des OLG Naumburg der Staatsanwaltschaft de facto aufgetragen hat, doch mal wegen Rechtsbeugung zu ermitteln.

Um was für eine jursitische Person ging es denn? Privatrecht oder zufälligerweise um eine des öffentlichen Rechts, die evtl. sogar auch noch im Geschäftsbereich eines Justizministeriums liegt ;-).

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@WPR_bei_WBS: 3 stimmt nicht ganz. Ich vergaß zu erwähnen, dass der Oberstaatsanwalt in der Revisionserwiderung beantragt hat, die Revision zu verwerfen, weil "die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben" habe.

WPR_bei_WBS hat gesagt…

@Kerstin Rueber: Deshlab schrieb ich ja auch *mindestens* drei ;-).

Kleine Frage am Rande: Wenn die Tatsachen an sich unstrittig waren, wäre eine Sprungrevision nicht "schneller" gewesen?

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

Nachdem ich das Protokoll des AG gelesen hatte und das dazugehörige Urteil, habe ich davon Abstand genommen, mein bis dahin unbenanntes Rechtsmittel als Revision zu bezeichnen, obwohl ich echter Fan von Sprungrevisionen bin. Die im Urteil getroffenen Feststellungen waren sehr, sehr dünn. Das LG hat sich sehr viel ausführlicher ausgebreitet und die tatsächlichen Feststellungen hübsch zementiert.

WPR_bei_WBS hat gesagt…

Gut, dass die Richterin am LG zumindest im Bereich "ordentliche Dokumentation" ihren Job vernünftig gemacht hat :-).