Mittwoch, 17. November 2010

Wir überprüfen Stichwörter. Heute: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen

Eine Prozesssituation, wie sie häufig vorkommt: eine Strafkammer stellt fest, dass Fortsetzungstermine benötigt werden und bittet die Verfahrensbeteiligten, entweder im Kalender nachzusehen oder mit ihrem Büro zu telefonieren. Ich greife zum Handy: beide Telefonleitungen in meinem Büro sind besetzt. Ich muss dreimal anwählen, bevor eine Leitung frei ist und meine Sekretärin sich meldet.

Zwischen den Anrufen sieht sich der Vorsitzende zu der Bemerkung bemüßigt, dass meine Büroorganisation verbesserungsbedürftig sei.

Man mag von einem besetzten Kanzleitelefon halten, was man will (vielleicht sogar einfach, dass eine Kanzlei gut frequentiert ist), aber wenn die eigene Geschäftsstelle es nicht auf die Reihe bekommt, den Verfahrensbeteiligten, die für 9.00 Uhr geladen sind, vorterminlich mitzuteilen, dass der einzige Zeuge an diesem Tag erst um 13.30 erscheint und somit dafür sorgt, dass man sich geschlagene 4 Stunden in der zugigen Kantine aufhalten darf, dann ist es unvorteilhaft, sich über eine nur wenige Minuten Verzögerung verursachende besetzte Telefonleitung dergestalt zu äussern. Gleiches gilt, wenn alle Verfahrensbeteiligten auf den Protokollführer warten, zu dem es offenbar nicht vorgedrungen war, dass die Verhandlung um 8.30 Uhr statt um 9.00 Uhr beginnt und der es (Heimvorteil!) nicht einmal nötig hatte, die Verzögerung zu entschuldigen.

Ergebnis: das Sprichwort stimmt.

An dieser Stelle ein Dank an meine Mitarbeiterinnen, die zwar auch nichts daran ändern können, dass ich ausgerechnet dann anrufe, wenn alle Leitungen besetzt sind, aber bei freien Leitungen immer ein offenes Ohr haben und selbst dann noch gut gelaunt sind, wenn meine Laune längst verhagelt ist.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

> Geschäftsstelle es nicht auf die Reihe bekommt ...

> Gleiches gilt, wenn alle Verfahrensbeteiligten auf den Protokollführer warten ...

ich nehme an, Du hast diesen schnöseligen Vertreter seiner Zunft (die Mehrzahl seiner Kollegen, die ich kenne, ist glücklicherweise anders gestrickt) dezent darauf hingewiesen!?

Uwe

Tilman Hausherr hat gesagt…

Das bringt eine interessante Frage, die vielleicht sogar einen eigenen Beitrag bringen könnte.

Bei Ärzten ist es am "schlimmsten" am Montag morgen, weil alle Leute die am Freitag abend, Samstag und Sonntag krank geworden sind sich am Montag hereinschleppen.

Aber wie ist es bei einer Kanzlei für Strafverfahren? Wann ist da üblicherweise der Höhepunkt? Wann werden am meisten Leute verhaftet, deren Wohnungen durchsucht, bzw. wann kommen am meisten bedrohliche Briefe von von der "objektivsten Behörde der Welt" und dessen Gehilfen?

Anonym hat gesagt…

Um ihre Laune zu verbessern schenke ich ihnen noch ein "pr". Das können sie zum Beispiel an Stelle eines "t" einsetzen und dann ist auch noch die Überschrift perfekt. ;-)

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Uwe: Gaaaanz dezent.
@Tilmann Hausherr: Gute Frage. Bislang habe ich nie darauf geachtet, ob es einen Wochenhöhepunkt gibt. Wenn ich schlauer bin, gebe ich Laut.
@Anonym: Huch! Danke. Wir überprüfen freilich SPRichwörter. :-)

Lore hat gesagt…

Wie können Sie aber auch das Büro Ihrer Anwaltskanzlei mit der Geschäftsstelle einer Strafkammer vergleichen – dazu fällt mir doch gleich das passendes Sprichwort ein:

„Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe.“

Anonym hat gesagt…

Tja, manche sind eben gleicher als andere. Ein Richter beschwerte sich letzte Woche darüber, daß mein Schriftsatz vom 4. April erst am 5. November bei Gericht eingegangen sei - obgleich es sich bei dem Datum offensichtlich um einen Tippfehler handelte.

Daß mir seine Verfügung vom 5. Januar - ganz ohne Tippfehler - erst im August zugestellt worden war, fand er hingegen völlig normal.