Montag, 11. Oktober 2010

Gut zu wissen, was man nicht will

Bislang dachte ich ja immer, diese Praktika, die Jurastudenten während des Studium u.a. beim Anwalt zu absolvieren hätten, seien Makulatur. Weit gefehlt!

Heute hat meine Praktikantin nach einer von drei vorgesehenen Wochen das Praktikum beendet. Begründung: Strafrecht sei doch nicht ihr Ding und sie könne sich eine berufliche Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet nicht vorstellen.

Immerhin weiß sie nun bereits, was sie nicht will und damit dürfte sie manch einem Kommilitonen voraus sein.

Strafrecht in der Praxis ist eben doch etwas Anderes als Strafrecht an der Uni. Der Student muss materiell-rechtlich schwierige Fälle lösen à la: A will B erschießen. Er zielt auf X, den er mit A verwechselt. Der Schuß prallt an dem neben X stehenden C ab und trifft D. D verstirbt 10 Tage später im Krankenhaus an einer Infektion. Strafbarkeit der Beteiligten? In der Praxis sind die meisten Fällen materiell-rechtlich nicht halb so kompliziert, aber dafür haben sie es oft in prozessrechtlicher Hinsicht in sich.

Hinzu kommt, dass man es stets mit Menschen zu tun hat, die in einer Ausnahmesituation stecken, was das Handling nicht immer einfach macht.

9 Kommentare:

Caythlin hat gesagt…

Psst....
A verwechselt X mit B, nicht mit A (also nicht mit sich selbst) - sonst wirds ECHT vertrackt :)

Tilman Hausherr hat gesagt…

Mein Amateur-Tipp: 1x fahrlässige Tötung, 1x versuchter Mord.

Anonym hat gesagt…

@Tilman Hausherr: Und was ist mit der Körperverletzung an C?

PS: Gruß an Xenu!

cand. iur. John Doe hat gesagt…

Ich nehme mal Caythlins Zusatz als gegeben an ;)

Der Schuss von A auf X (den er für B hält) ist ein unbeachtlicher error in persona. Da beides Menschen sind (=Gleichwertigkeit), bleibt es beim versuchten Totschlag, §§ 212, 22 StGB (Fehlgeschlagener Versuch, Rücktritt nicht möglich blabla)

Das "Abprallen" an C könnte entweder eine gefährliche KV sein, § 223, 224 StGB (mindestens dolus eventualis), oder eine fahrlässige Köperverletzung, § 229 StGB (bewusste Fahrlässigkeit). Insofern ist der Sachverhalt hier zu dünn ;)

Dass dann noch D getroffen wird, könnte ein atypischer Kausalverlauf sein. Nehme ich aber mal nicht an. Dass er erst an einer Wundinfektion verstirbt, zeigt, dass sie die objektive Zurechnung diskutiert sehen wollen. Da eine tödliche Wundinfektion ein typisches Risiko einer Schussverletzung ist, ist die objektive Zurechnung jedenfalls gegeben.
Ohne die subjektive Seite zu kennen, dürfte wieder nicht entschieden werden können, ob es eine fahrlässige Tötung oder Totschlag war.

@Tilman Hausherr: Naja, fast ;) Aber Mord sehe ich nirgends. Oder welches Mordmerkmal (§ 211 StGB lesen) sehen Sie erfüllt?

kj hat gesagt…

Ich finde die Fälle in der Praxis oft dogmatisch komplizierter als in der Theorie an der Uni.

Anonym hat gesagt…

Ja ja, aberratio ictus und error in persona - kam auch in meiner ersten Hasusarbeit dran.

Die Praktikantin scheint aber nicht annähernd so schussfest gewesen zu sein, wie die Referendarin von der wir zuletzt hören durften. Ich verstehte einfach nicht, wie man sich nicht einmal dazu durchringen kann ein lediglich dreiwöchiges Praktikum durchzuhalten. Selbst wenn man merkt, dass es nicht der richtige Bereich ist, muss man das doch einfach mal durchziehen können (*kopfschüttel*).

Außerdem: Ich selbst werde wohl auch nie im Strafrecht praktizieren und habe es dennoch genossen in der Strafstation mal Einblicke in so manche Strafakten zu bekommen und mich ins BtM-Recht einzuarbeiten. Manchmal lernt man sogar Nützliches, z.B. kann es auch für das eigene Leben nicht schaden zu wissen, wie man Koks (rein theoretisch) konsumieren müsste, damit man schön im Bereich der straflosen Selbstschädigung bleibt... :-)

Tilman Hausherr hat gesagt…

Ich hatte den Abpraller ganz weggelassen weil C ja unverletzt ist, es wird auch keine Sachbeschädigung behauptet (und die würde wegen §154 StPO wegfallen). Den Kommentar für Amateure zum §211 (Wikipedia) habe ich nun auch nachgeschlagen, also kein Mord, also 1x fahrlässige Tötung (von D), 1x versuchter Totschlag (von B bzw. X).

Caythlin hat gesagt…

Aber HEY.... wenn A aber tatsächlich X mit A (also mit sich selbst) verwechselt, dann wirds interesant mit der Zurechnungsfähigkeit.....
Wie wird dann das Urteil aussehen?

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@Anonym: Schußfestigkeit ist eine Sache, Durchhaltevermögen eine andere. Es kommt der Tag, an dem man sich nicht mehr aussuchen kann, welche Art Fälle man bearbeitet. Spätestens in der Strafrechtsstage im Referendariat holt einen das Strafrecht wieder ein. Ich hatte z.B. nie Lust auf Verwaltungsrecht und habe mich durch die Stage ebenfalls durchgequält. Musste sein, hat auch nicht geschadet.
BTW: Das Sprichwort mit dem Leben und dem Ponyhof stimmt übrigens.