Donnerstag, 1. April 2010

Die mitteilungsbedürftige Zeugin

Die meisten Zeugen sind eher zurückhaltend und warten vor dem Sitzungssaal stehend auf den Aufruf zur Sache.

Gestern beim Amtsgericht N. war das anders. Die Zeugin Z., die für ihre 80 Lenze noch recht rüstig wirkte, saß schon ein paar Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung im Sitzungssaal. Als mein Mandant und ich diesen betraten, forderte sie uns auf, ihr sofort zu sagen, was wir hier eigentlich zu suchen hätten und dass die Richterin von Pünktlichkeit wohl nicht allzu viel halten würde. Nachdem ich auf derartige Ansprachen nicht positiv zu reagieren pflege, erfuhr ich ungefragt den Grund ihrer schlechten Laune und gleichzeitig ihre Krankengeschichte der jüngeren Vergangenheit. Ich erspare der geneigten Leserschaft die Einzelheiten und will es mal mit Stichworten bewenden lassen: Ödeme, Asthma, Herzinsuffizienz.

Selten habe ich das Erscheinen eines Spruchkörpers so herbeigesehnt wie an diesem Tag. Die um 3 Minuten verspätete Vorsitzende hatte noch nicht den Richtertisch erreicht, da bekam sie auch schon ihr Fett weg: Das sei nun das dritte Mal, dass sie sich trotz (siehe oben unter "Ödeme" pp) hierher bemühe. (Der erste Termin war verlegt worden, weil mein Mandant verhindert war, der zweite weil die Richterin kurzfristig erkrankt war.) Das hätte man doch alles schon längst erledigt haben können. Und überhaupt - wegen so einer Lapalie eine Verhandlung anzusetzen!

Im Zuge ihrer Vernehmung, die sich nur um eine einzige mit "ja" oder "nein" zu beantwortende Frage drehte, erfuhren wir noch, dass sie früher bei einer Bank gearbeitet hatte "Am Geld und am Körper sind die Menschen am empfindlichsten" und wiederum nochmal zur Sicherheit, dass sie (siehe oben unter "Ödeme" pp).

Es ist ganz gut so, dass wir alle nicht wissen, wie wir mal sein werden, wenn wir die 80 erreicht haben. Vielleicht berichten wir dann auch von unseren Zipperlein und regen uns darüber auf, dass wir zweimal offenbar nicht rechtzeitig abgeladen worden sind, obwohl wir im Zweifel jedes Herauskommen aus dem Alltag als Highlight empfinden und sei es auch am Ende vergeblich.
Vielleicht werden wir dann auch absichtlich Samstags einkaufen gehen um mal wieder unter richtig viele Leute an der Supermarktkasse zu kommen. Vielleicht aber werden wir auch nicht zu den vereinsamten Alten zählen. Für diesen Fall hätten wir so richtig Schwein gehabt.

2 Kommentare:

RA Müller hat gesagt…

So hoffe ich, daß es sich um eine Belastungszeugin handelte, die das Gericht mit der beredten Schilderung ihren Zipperlein genervt und das Geschehen ohnehin als Lapalie abgetan hat ;)

HHH hat gesagt…

Frau Kollegin, daß Ihr Toleranzspiegel gegenüber unseren
älteren Mitbürgern aber auch so niedrig ausgeprägt ist. Kommen Sie bloß nicht nach Bünde! Wir machen das hier jeden Tag mit. Geht schon los
auf dem Weg zur Arbeit ( Opa mit Hut ), über Post ( Oma in der Schlange )und Marktkauf am Wochenende mit allem was Sie sich dazu vorstellen können.