Freitag, 19. März 2010

Schulklassen, Gerichtsbesuche und Sternstunden der Pädagogik

Es ist kurz vor den Osterferien. Man merkt es daran, dass die Tage länger werden, die Luft wärmer und Schulklassen in Gerichtssälen sitzen, denen offenbar der Zahn gezogen werden soll, dass es "in echt" nicht so zugeht wie bei Frau Salesch und ihren TV-Kollegen.

In der zurückliegenden Woche habe ich an 4 verschiedenen Gerichten verteidigt, 3 Mal saß eine Schulklasse im Saal, was jeweils dazu führte, dass bei meinen Mandanten neben den Fragezeichen im Gesicht noch mehr der Schweiß auf der Stirn stand.

Alle Schüler haben sich besser benommen, als ich das in einem vergleichbaren Alter wohl getan hätte - soviel sei schon mal gesagt. Alle waren brav still, Unterhaltungen im Flüsterton wurden so leise geführt, dass vorne nichts mehr davon ankam. Einige malten Skizzen vom Gerichtssaal, andere machten sich Notizen und wieder andere schienen in dumpfes Brüten verfallen, wobei die Zahl der dumpfen Brüter bei Weitem am größten war.

Irgendwie kann ich das gepflegte Desinteresse am wahren Leben angesichts dessen, was nachmittäglich über die Bildschirme flimmert, sogar verstehen. Da tauchen urplötzlich Zeugen auf, die, ebenso wie die Angeklagten das jeweils gewünschte Klischee bedienen, der bärbeißige Staatsanwalt sorgt immer mal wieder für einen Lacher, während der Verteidiger meist dummes Zeug redet und am Ende, sozusagen nach der Siegerehrung seines Mandanten zu einer mehrjährigen Haftstrafe, die Eselsmütze aufhat. Die Rechte des Angeklagten werden auf ein tv-taugliches Minimum reduziert und die Verhandlunsführung durch den Vorsitzenden ist bisweilen ein hübsches Sammelsurium für Befangenheitsanträge, die natürlich keiner stellt, weil das nicht ins Format passt.

Und dann die Realität: alles geht deutlich weniger hoch her als im Fernsehen, wirkt viel formaler und wenn man Pech hat, geraten sich nicht einmal Verteidiger und Staatsanwalt in die Haare. Zu allem Überfluss dauern manche Sitzungen deutlich länger als die TV-Verhandlungen, was Konzentration und Geduld auf eine harte Probe stellt, und es gibt nicht mal Werbepausen. Und da soll man sich als Schüler noch gut unterhalten fühlen?!

Unabhängig davon frage ich mich, wer die Kinder wie auf eine Verhandlung vorbereitet und, falls es eine Vorbereitung gibt, wieviel Kenntnisse der jeweils vorbereitende Lehrkörper hat. Als ich nach einer Verhandlung meine Siebensachen zusammenpackte, bekam ich mit, dass sich der Vorsitzende danach für Fragen der Schulklasse zur Verfügung stellte. Eine Frage lautete: "Wenn ein Prominenter eine Körperverletzung begeht, wird er dann genauso hart bestraft wie ein Nichtprominenter?" Antwort: "Ja." Zwischenruf des Lehrkörpers: "Siehste, ich hab´s doch gesagt, aber mir glaubt ja keiner!" Hört, hört. Eine pädagogische Sternstunde und ich bin live dabei! Die Begründung des Lehrkörpers hätte mich mal interessiert und weiter, warum es ihm augenscheinlich nicht gelungen ist, seinen Schülern den Gleichheitssatz zu versinnbildlichen.

Der Richter hat´s gerichtet. Er hat geduldig, anschaulich und durchaus fesselnd erklärt und damit wahrscheinlich mehr zur Allgemeinbildung der Schüler beigetragen als 3 Stunden Sozialkundeunterricht. Wollen wir mal hoffen, dass sich die Schüler bei der nächsten Runde TV-Gericht an das ein oder andere (Verfahrens)grundrecht erinnern und realisieren, dass es "in echt" Gott sei Dank anders zugeht als im Fernsehen.

5 Kommentare:

HHH hat gesagt…

...was Sie alles noch so von Lehrern erwarten... Vielleicht sollten Sie eine Rechtskunde AG an seiner Schule anregen.
Wie überall steht bei den Kids Strafrecht, Filesharing und Co. sicher hoch im Kurs und da scheint echter Aufklärungsbedarf zu bestehen.

Sven hat gesagt…

Als ich noch in der Schule war, wurden wir einfach ins Gericht geschickt. Uns wurde gesagt, wann und wo der Fall verhandelt wird. Aber vorbereitet hat uns niemand und ein Lehrer war auch nicht dabei. Okay, wir waren damals alle zwischen 17-19 Jahren alt, also wussten wir auch das wir uns dort benehmen sollten.

Aber trotzdem, es erschien mir damals schon komisch und heute um so mehr.

Carsten R. Hoenig hat gesagt…

Liebe Kerstin, wenn ich das nächste Mal eine Schulklasse auf den Besuch des Kriminalgerichts Moabit vorbereite, nehme ich Dich gern mal mit. :-)

Anonym hat gesagt…

Wie die Überraschungszeugen bei Salesch & Co. auch immer zur richtigen Stunde den richtigen Saal finden... Das schaffen ja häufig nicht einmal ordnungsgemäß geladene Zeugen.

Die Richter und Rechtsanwälte (die zumeist auch die Staatsanwälte spielen), die sich in solchen Gerichtsshows zum Lolo machen, kann doch in einem echten Gerichtssaal niemand mehr ernst nehmen.

Ich habe einmal spaßeshalber bei einer Rechtsanwaltskammer angefragt, ob man dort das Treiben eines Kollegen, der sich im Fernsehen immer besonders zum Affen macht, unter berufsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich findet. Antwort: das sei alles überhaupt nicht zu beanstanden. Aber sich aufregen, wenn jemand einen unpassenden Werbespruch auf der Homepage hat...

Kerstin Rueber-Unkelbach LL.M. hat gesagt…

@HHH: Die meisten Schulen haben das längst im Angebot, aber der Erfolg scheint fraglich.
@Carsten: Au ja! Bei dir werden sie sicher das erste Mal hören, dass ein Angeklagter sogar schweigen darf und dass man auch als Zeuge nicht bei der Polizei aussagen muss.